: US-Firmen haben die Fusionitis
George Bush bleibt Präsident, die Konjunktur boomt, und die Unternehmen fühlen sich sicher und expansionshungrig: Branchenübergreifend tobt die Übernahmewut. Sie könnte auch Firmen mitreißen, die die Folgen unterschätzen
AUS NEW YORK HEIKE WIPPERFÜRTH
Kein Tag vergeht ohne Schlagzeilen über milliardenschwere Übernahmen. Jüngstes Beispiel: Der Versuch des Atomkraftwerkbetreibers Exelon, die Public Service Enterprise Group für 12 Milliarden US-Dollar zu schlucken. Allein vorige Woche wurden Zusammenschlüsse mit einem Rekordwert von 85 Milliarden Dollar bekannt gegeben.
Insgesamt kam es 2004 bisher zu Übernahmen im Wert von 742 Milliarden Dollar. So gut lief es schon seit vier Jahren nicht mehr. 2003 waren es beispielsweise nur 543 Milliarden Dollar gewesen. Und Experten rechnen damit, dass dies erst der Anfang ist: „Es wird noch mehr Fusionen geben – und das heißt: mehr Begeisterung für den Aktienmarkt“, meint Marc Pado, Marktstratege bei Cantor Fitzgerald.
In den ersten zehn Monaten knauserten die Firmen mit Investitionen, weil ihnen die Zeiten zu unsicher waren. Doch seit Präsident George W. Bush wieder gewählt wurde, fassen sie wieder Mut. Mit genügend Geld in der Kriegskasse gehen sie auf Schnäppchensuche. Wie die Firma United Technologies: Für 2,8 Milliarden Dollar will sie die britische Firma Kidde Plc übernehmen. Demnächst verkauft sie dann nicht nur Alarmanlagen und Aufzüge, sondern auch Feuerschutzprodukte.
Andere Elefantenhochzeiten werden eher durch den Konjunkturaufschwung und die Börsenhausse angeregt: So verkündete der Konsumgüterhersteller Johnson & Johnson den Kauf des Medizintechnikunternehmen Guidant für 24 Millarden Dollar. Zwei Drittel des Kaufpreises will er mit seinen Aktien bezahlen – deren Preis sich im letzten Jahr um etwa 10 Dollar erhöht hat.
In Branchen mit langsamem Wachstum und zu vielen Rivalen steht meist die Überlegung im Mittelpunkt, sich mit Übernahmen schnell mehr Marktanteil kaufen zu können. Durch die 35 Milliarden Dollar teure Fusion zwischen Nextel und Sprint entsteht nun ein Mobilfunkriese mit über 35.000 Kunden. Kostenersparnisse in der Höhe von 12 Milliarden Dollar sind anvisiert. Zum Beispiel durch Stellenabbau. Ziel ist es, mit einer größeren Palette von preiswerten Produkten mehr Kunden zu binden.
Larry Ellison, Chef des Softwarekonzerns Oracle, wollte den Rivalen PeopleSoft dagegen eigentlich nur übernehmen, um ihn aus dem Verkehr zu ziehen. Dagegen hat sich PeopleSoft 18 Monate lang gewehrt. Nach einer Erhöhung des Übernahmepreises stimmte die Firma der 10,3 Milliarden Dollar teuren Übernahme zu. Inzwischen ist Ellison vorsichtiger geworden. Kunden will er die besten Produkte beider Firmen anbieten.
Dass die Fusionswelle über die USA fegt, könnte auch ein Zeichen dafür sein, dass der Aktienmarkt kurz vor einer Korrektur steht. Erfahrungsgemäß schließen sich Firmen zusammen, wenn eine Schwächeperiode droht. Nachdem im Januar 2000 Fusionen im Wert von 237 Milliarden Dollar stattfanden, dauerte es nur kurze Zeit, bis die Internetblase platzte. Damals schlossen sich auch Time Warner und AOL zusammen, was sich als großer Fehler entpuppte.
Brisant ist nämlich, dass viele Fusionen die gesteckten Ziele nicht erreichen und so als Fehlschlag enden. Zum Beispiel, weil sie auf dem Höhepunkt des Marktaufschwungs abgeschlossen wurden und deshalb den finanziellen Anforderungen nicht gerecht werden können. Oder weil es zu Verzögerungen kommt, Computersysteme nicht integriert und die Belegschaft nicht genügend auf die neue Aufgabe vorbereitet wird.
Solche Probleme sind beispielsweise bei Guidant absehbar: Die Fusion muss noch vom Kartellamt verabschiedet werden. Das kann dauern und drückt auf die Nerven. Es könnte zu Spannungen kommen. Unsicherheit herrscht auch bei der geplanten Hochzeit zwischen Sprint und Nextel. Die Firmen wollen zwei Hauptquartiere beibehalten. Für Kritiker ist das ein Zeichen, dass sie nicht eng genug zusammenarbeiten.
Während man über den Erfolg der Fusionen selbst jedoch nur spekulieren kann, stehen die Gewinner bereits fest: Es handelt sich um die Investment Banker, die den Firmen bei den Fusionen geholfen haben. Ihre hohen Gebühren werden bezahlt, ganz egal, ob die die Zusammenschlüsse ein Erfolg werden oder nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen