: Heimatroman
Der Katzbichlerbauer
VON ULI HANNEMANN
Der Abend vor Maria Vermählung kroch vom Gamskar her früh ins Tal hinein. Die vierte Stunde war kaum angebrochen, doch einsetzender Schneefall ließ es zeitig dunkeln.
„Früh wird’s heut finster“, sinnierte die Katzbichler Anna, Frau vom Katzbichler Joseph, Katzbichlerbauer zu Zupfing und von vielen im Dorf nicht nur ob seiner spitzen Ohrwascheln „Katzensepp“ geheißen, „Herrgott – wo mag der Sepp bloß bleiben?“
Sie schob das Grobgestickte beiseit und spähte von ihrer Eckbank in der Stube aus nach draußen. Links der langgezogene Kuhstall. Rechts die Scheuer, wo auch die Rösser standen. Wenig Heu hat es im Sommer gehabt, gottgefügt: Noch vor Jakobi Weinbrand würde man einige Fuder nachkaufen müssen, im Welschen drüben – dort war die Ernte besser gewesen.
Hinter der Scheuer begann die Obstwiese. Zwischen zwei Boskop stand ein Schneemann, mit einem Fichtenzapf als Nase, und die Anna glaubte gar, eine zweite auf dem Rücken zu erkennen. „Die Sauhund, die damischen“, schmunzelte sie, „ein zweiter Zinken, geh, was für ein Schmarrn!“ Aber vielleicht spielte auch die Dämmerung den Augen einen Streich. Sie zündete im Fenster eine Kerze an: „Mag nachert sein, dass er die sieht, wann er heimkommt, der Sepp – wann er nur erst heimkommen möcht!“ Weich fiel der Schnee.
Am Morgen schneite es noch immer. Die Kerze war erloschen und der Bauer nicht da. Die Bäuerin blieb sitzen – das Bein war wohl vorgestern doch ärger verletzt worden und als wie ein Zweigerl gebrochen. „Mei“, lachte sie, „was für ein sauberer Kampf! Aber nix gegen den, der wo mir hier noch bevorsteht, ohne Essen, ohne Brand, ohne alles …“
Sie öffnete das Fenster und schöpfte mit den Händen etwas Schnee – wenigstens verdursten würde sie nicht müssen. Die Kinder bauten am Schneemann weiter – die Schweinsteigerbuben, die Sackfurtner Leni, dazu sabbernd, in Lumpen und sogar im Winter barfuß, der blöde Hias von der dritten Magd vom Obermeier. Ein Kind der Schande – mehr wusste man nicht.
„Schleicht’s euch“, machte die Anna eine fortscheuchende Handbewegung, „ksch!“ Die Blagen sahen zu ihr herüber, stumm, dann rannten sie weg, hinunter ins Dorf. Von dort war ohnehin keine Hilfe zu erwarten, nur Argwohn, Hass und Neid. Da machte auch der ehrwürdige Herr Pfarrer keine Ausnahme. Vor Jahren war der Sepp hierher gekommen und mit Fleiß und Geschick wie aus dem Nichts zum zweitreichsten Bauern der Gegend geworden, hatte den Katzbichlerhof gebaut und die Anna gefreit. Ein welscher Jud, munkelte man bald, aus dem Amerikanischen zurückgekehrt, ein Abenteurer. Aber man wusste nichts Genaues, selbst sein Weib nicht, denn der Sepp war ein großer Schweiger. Wo er nur blieb?
Zu Mariä Lichtmess wartete die Bäuerin noch immer, abgemagert, stinkend und fast narrisch geworden – ohne jede Erinnerung an den Kampf. Sie hatte sich ins Grobgestickte gehüllt, denn längst hatte es aufgehört zu schneien und ein arger Frost alles Leben mit seinen eisigen Klauen erwürgt. Vor zwei Tagen hatte endlich das schreckliche Brüllen aus dem Stall ein Ende gefunden. Ein dürrer Ratz fiepte hungrig zu ihren Füßen, bevor er umfiel und starb. Die Anna beneidete ihn nicht wenig. In der Nacht auf Blasiussegen wurde ihr Bein endgültig taub.
Der Katzbichler war wortlos gegangen und sie hatte sich nichts dabei gedacht: Sie verständigten sich eh mehr über Blicke – allenfalls noch eine Maulschelle hie und da. Von Amerika wusste sie nur, dass die Wilden dort weit menschlicher waren als die Leute unten im Dorf. Gegen Hax’ Heimsuchung fiel der Föhn über die Wurstspitze und Tauwetter setzte ein. Tag und Nacht hielt sie von nun an das Fenster geöffnet, um sich der Pestilenz aus Mist und fauligem Bein zu erwehren.
Am Mittag von Petri Stuhlfeier stapften im Sonnenschein drei Männer durch den Firn auf den Katzbichlerhof zu. Kurz darauf öffnete sich die Tür zur Stube und sie traten ein: der Nebenhuber Alois, der Pfundsgruber Stefan und der ehrwürdige Herr Pfarrer. Der Nebenhuber rümpfte grußlos die Nase: „Wo ist dein Mann, Katzbichlerin – wo ist der Katzensepp?“
Der Schimpfname! Die Bäuerin zuckte zusammen: Immer wenn im Dorf Missgeschick war, ging die Rede vom Katzensepp. Er war ihnen nie geheuer gewesen, oft nicht mal der Anna.
„Hier stinkt’s“ – der Pfundsgruber spuckte aus.
„Unsre Kinder haben die Seuche, Katzbichlerin“, sagte der Alois drohend, „dem Sackfurtner ist erst an Mätthäi Schluckauf die Leni weggestorben.“
Der Pfarrer ergriff das Wort: „Sie soll hier oben gespielt haben, meinen die Leut. Einen Schneemann gebaut, so sagen sie – direkt vor deiner Tür.“ Er beugte sich herab und sprach leise auf sie ein: „Sein Versteck! Ich vermag sie sonst nicht länger zu halten – und ich weiß auch nicht, ob ich das will …“
„Schleicht’s euch, Haderlumpen“, hauchte die Anna: Gewiss blieb ihr Sepp nur wegen dieser Grattler fort.
„Gehen wir – sie hat schon verstanden“, brummte der Nebenhuber. Sie zogen ab. An der Obstwiese versetzte der Pfundsgruber dem halb geschmolzenen Schneemann einen Tritt. Der Zapfen fiel herunter und der letzte Rest Schnee: Im Katzbichlerbauer seinem Rücken steckte das Küchenmesser seiner Frau.