: Wachen für das Eigenheim
taz-Serie „Arbeit ist das halbe Leben“ (Teil 1): Drei Jahre lang sorgte Jürgen Glaser für Sicherheit auf U-Bahnhöfen. Das sei Sklavenarbeit gewesen. Nun kämpft der Entlassene um ausstehende Löhne
von TORBEN IBS
Es sollte nur eine Übergangslösung sein. Drei Jahren arbeitete Jürgen Glaser bei einem Sicherheitsdienst als Wachmann. An Freizeit oder gar Urlaub war dabei nicht zu denken, schließlich hat der gelernte Stahlbetonbauer Familie, und die will versorgt sein.
Sein kleines Haus in Mahlsdorf am östlichen Stadtrand ist sein ganzer Stolz. Der gebürtige Sachse hat es mit tatkräftiger Hilfe seiner drei Kinder und seiner Frau fast komplett selbst gebaut. Drei Monate haben sie nur gebraucht, um aus dem Rohbau ihr Familienheim und Glasers Lebenstraum wahr werden zu lassen. Als es fertig war, nahm die Familie ein kleines Mädchen als Pflegekind zu sich auf. Das war vor drei Jahren.
Heute sitzt der 48-Jährige am Küchentisch und telefoniert mit seinem Anwalt, dem Betriebsrat und alten Kollegen. Kollegen, mit denen er drei Jahre lang zusammen für Sicherheit in den U-Bahnen Berlins gesorgt hat. Die Firma hat ihm im November fristlos gekündigt. Er klagt gegen die Kündigung, obwohl er mittlerweile keine Ambitionen mehr hat, wieder in den Wachjob zurückzugehen. Aber er will gerichtlich einfordern, was ihm zusteht: eine Abfindung und ausstehende Löhne.
Glaser sitzt auf einem Holzstuhl und erzählt. Die Lippen unter einem braunen Bart verborgen, mit flinken Augen sieht er eher aus wie ein kleiner Holzfäller, der die Wildnis liebt, als wie ein Wachmann, der in U-Bahn-Schächten Patrouille lief und sogar Hundeführer werden wollte. Angefangen beim Wachdienst hat der gelernte Stahlbetonbauer wegen seines Hauses. Um über den Winter zu kommen, der im Baugewerbe oft Arbeitslosigkeit bedeutet, bewarb er sich 2001 bei der GSE-Sicherheit und wurde genommen.
Es war kein Traumjob, aber irgendwo musste das Geld ja herkommen, um den Bankkredit für das Haus und das 680 Quadratmeter große Grundstück abzubezahlen. Mittlerweile bereut der dreifache Vater seine Entscheidung. „Was da abläuft, ist reinster Sklavenhandel“, erzählt er. Der Stundenlohn liege bei 5,52 Euro. Das bedeutet rund 240 Arbeitsstunden im Monat im Dreischichtsystem, um auf 1.000 Euro Gehalt zukommen. Teilweise 21 Tage lang arbeiten ohne Pause und Wochenende. „Das ist kein Leben mehr, Freizeit hat man im Prinzip nicht.“ Der letzte Urlaub ist vier Jahre her, schon vorher verdiente er nicht viel, hatte sogar Schulden.
„Wir haben über die Jahre immer Fünfmarkstücke in einem Sparschwein gesammelt. Am Ende hatten wir 5.000 Mark zusammen, das reichte für zwei Wochen Griechenland mit der ganzen Familie.“ Aber das ist lange her. Heute summieren sich die Fixkosten von Haus und Versicherungen auf rund 2.400 Euro im Monat, hinzu kommen die Lebenshaltungskosten für den Sechspersonenhaushalt.
Wenn seine Frau Heidi, die als Erzieherin in einer Behinderteneinrichtung arbeitet, nicht auch verdienen würde, kämen sie nicht über die Runden. Auch so müssen sie jeden Cent zweimal umdrehen. Er seufzt: „Eigentlich sollte doch der Mann das Geld nach Hause bringen, bei uns ist es andersherum.“ Seine Frau – sie sind seit 22 Jahren verheiratet – bekommt mehr ausbezahlt, aber arbeitet weniger.
Beim Wachdienst müsse man um jeden Cent, jeden Zuschlag kämpfen, berichtet er. „Die bescheißen dich, wo es nur geht, und nur wer sich wehrt bekommt auch, was ihm zusteht.“ Wehren kann er sich und tut es auch. „Der letzte Lohnzettel war auch wieder falsch“, sagt Glaser. „Bisher hat nur eine Lohnabrechnung wirklich gestimmt, die erste.“ Er holt den letzten Bescheid aus seiner Mappe, in der er alle Dokumente, Schreiben und E-Mails sorgsam abgeheftet hat.
Aber das Pochen auf seine Rechte hat ihn bei seinem Arbeitgeber nicht gerade beliebt gemacht. Das hieß dann weniger Einsätze – und damit auch weniger Geld. Das Minimum liegt laut Arbeitsvertrag bei 173 Stunden pro Monat. Zu wenig, um als Familienvater über die Runden zu kommen. Glaser: „Das ist reines Mobbing.“
Auch sonst ist es mit dem Betriebsfrieden nicht weit her. Zwar hat er mit einigen Kollegen Freundschaften geschlossen und man hat sich auch ganz gut verstanden. Aber am Ende war es eine Mitarbeiterin, die ihn bei der Geschäftsführung angeschwärzt hat, berichtet er. Er sei, so heißt es, während des Dienstes zur Physiotherapie gegangen. Mittlerweile hat Glaser eine schriftliche Bestätigung des Physiotherapeuten, dass er noch nie in dessen Praxis gewesen ist. Der Arbeitsgerichtsprozess ist auf Mitte Januar angesetzt. Zurzeit ist er krankgeschrieben.
In die Branche zieht es ihn auf keinen Fall zurück, mittlerweile wird noch weniger gezahlt als die 5,52 Euro pro Stunde, die der Exwachmann noch bekommen hat. Stundenlöhne von drei Euro seien durchaus normal, sagt er. Wenn es sein muss, wird er ab Frühjahr wieder auf Montagearbeiten ins europäische Ausland gehen, wie er es früher schon getan hat. Dann ist er zwar weg von Frau, Kindern und Haus, aber dafür stimmt die Kasse.
Auch seine Lust zu arbeiten, die ihn beim Wachdienst vollkommen verlassen hatte, könnte wiederkommen. „Im Wachdienst, da ruppt man seine neun Stunden runter, und das war’s. Man macht es nur wegen des Geldes, aber das ist natürlich auf Dauer total unbefriedigend.“ Seine größte Angst ist, in die Arbeitslosigkeit abzurutschen und das Haus zu verlieren, weil er dann den Kredit nicht abbezahlen könnte. Nur deswegen hat er es wohl auch drei Jahre als Wachmann ausgehalten.