„Der Islam ist innovativ“

Muhammad Kalisch hielt den Eröffnungsvortrag der Muslimischen Akademie in Berlin. Ein Gespräch mit dem Religionswissenschaftler, der „aus rationalistischen Gründen“ zum Islam konvertierte

INTERVIEW EDITH KRESTA

taz: Herr Kalisch, „Von der Integration zur Partizipation“ lautete das Thema Ihres Vortrags zur Auftaktveranstaltung der Muslimischen Akademie. Was versprechen Sie sich von dieser Akademie?

Muhammad Kalisch: Ein intellektuelles Forum für Muslime. Ich erwarte, dass man auch kontroversere Themen ansprechen kann. Und dass man den Dialog mit anderen Religionen oder mit Atheisten führt.

Über Muslime wird doch ohnehin viel diskutiert?

Bei den Muslimen werden immer nur die Leute gesehen, die spektakulär etwas in die Luft jagen oder irgendwelchen Blödsinn in der Moschee erzählen. Diejenigen Muslime in der islamischen Welt, die innovative Ideen entwickeln, kommen selten vor. Es ist, als ob Sie die katholische Kirche auf das Opus Dei reduzieren wollten.

Wie bewerten Sie die Diskussion um den Islam in Deutschland?

Sie ist überhitzt und auf einem niedrigen intellektuellen Niveau. Ich habe immer wieder gesagt, dass vieles von der Kritik, die den Muslimen gegenüber gebracht wird, richtig ist. Es gibt einige Missstände.

Welche denn?

Man verweigert sich einer kritisch-historischen Interpretation. Man versucht, ein Gesellschaftsmodell, das vor 1.400 Jahren aktuell war, eins zu eins in die Gegenwart zu übertragen, ohne zu fragen, was die Hintergründe des Ganzen sind. Man identifiziert teilweise das Ergebnis einer theologischen Reflexion, die vor vielen Jahrhunderten stattgefunden hat, mit dem Islam und stellt Denkverbote auf. Das alles blockiert.

Warum sind Sie zum Islam konvertiert?

Die Vorgeschichte ist: Ich bin wegen meiner Schlitzaugen immer für ein Mischlingskind gehalten worden. Darum fing ich an, mich für zentralasiatische Völkerschaften zu interessieren. Mit 13 Jahren lernte ich Türkisch, weil ich später einmal nach Zentralasien reisen wollte. Und über die Türken bin ich in Kontakt mit türkischen Muslimen gekommen. Und schließlich überzeugte mich der Koran mehr und mehr. Ich habe daraus mit 15 Jahren die Konsequenz gezogen und bin zum Islam konvertiert.

Eine Pubertätsaufwallung?

Nein, dass ich mit fast vierzig Jahren immer noch dabei bin, scheint zu zeigen, dass dies eine dauerhafte Geschichte ist.

Was gefällt Ihnen am Islam?

Ich bin aus rationalistischen Gründen zum Islam konvertiert: wegen des klaren rein monotheistischen Gottesbildes, das Fehlen eines Mysteriums – etwas, was man nicht verstehen kann und der Vernunft widerspricht, wie etwa die Trinität oder die Lehre von der Erbsünde und der Erlösung durch einen stellvertretenden Opfertod.

Sie glauben auch an die Offenbarung. Ist das nicht die Quadratur des Kreises: Offenbarung und Rationalismus?

Nein. Die Fundamentalisten haben die Vorstellung, dass Gott so eine Art himmlisches Grundgesetz herabgesandt hat, wo man nur reingucken muss, und dann findet man für jeden Einzelfall die Erklärung. Ich glaube nicht, dass dies die Funktion von Offenbarung ist. Sie will den Menschen nicht das Denken abnehmen. Wenn der Koran den Menschen das Denken abnehmen wollte, dann würden sie nicht Formulierungen finden wie: Ihre Angelegenheit ist eine Sache gegenseitiger Beratung. Ich bin aufgrund meiner wissenschaftlichen Arbeit felsenfest davon überzeugt, dass der Koran unverfälscht erhalten ist. Aber man muss vorbehaltlos darüber diskutieren dürfen.

Die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck verließ bei der Auftaktveranstaltung demonstrativ den Raum, als Sie den muslimischen Fundamentalismus mit dem christlichen Fundamentalismus in den USA verglichen …

Ich kann nicht verstehen, warum man das nicht anprangern soll. Ich erkenne die große Leistung der europäischen Aufklärung vorbehaltslos an. Ich bin auch sehr froh, dass ich hier in diesem Land leben darf. Für einiges, was ich vertrete, wäre ich in der islamischen Welt sehr großen Problemen ausgesetzt. Aber ich polemisiere gegen diese Art von Selbstbeweihräucherung, wie sie jetzt betrieben wird: Da gehen die gesamte europäische Aufklärung plus Menschenrechte und Demokratie quasi nahtlos aus dem Christentum hervor. So wird ein Gegensatz zum Islam aufgebaut. In dem Sinne: Wenn im Christentum etwas schief läuft, dann ist es falsch verstandenes Evangelium; und wenn im Islam Bomben geworfen werden, dann ist dies richtig verstandener Islam. Ich kritisiere Menschenrechtsverletzungen im Iran und ich kritisiere, was in Saudi-Arabien vor sich geht. Aber ich sage Ihnen ganz offen, ich habe als Muslim Angst vor gewissen Dingen, die in der westlichen Welt ablaufen.