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Archiv-Artikel

Kampf um die Vorstadt-Familie

Ist die Ruhrstadt eine Schrumpfstadt? Der Regionalverband Ruhrgebiet fordert Kommunen auf, sich auf Rückbau von Wohnflächen einzustellen – Stadtplaner verteidigen eine offensive Siedlungspolitik

VON KLAUS JANSEN

Die Städte im Ruhrgebiet haben sich noch nicht ausreichend auf den zu erwartenden Bevölkerungsschwund eingestellt. Das ist das Ergebnis einer neuen Studie des Regionalverbands Ruhrgebiet (RVR). Die Kommunen schrieben immer noch zu viele Wohnbauflächen aus und kalkulierten in ihren Flächennutzungsplänen mit falschen Prognosen zur Einwohnerzahl, so die RVR-Direktorin Christa Thoben (CDU). „So wird die Verödung der Innenstädte weiter vorangetrieben“, sagte sie. Stadtplaner behaupten hingegen das Gegenteil: „Nur durch eine offensive Bodenpolitik kann die Region den Turnaround schaffen“, sagt der Dortmunder Planungsdezernent Ulrich Sierau (SPD).

Die RVR-Studie vergleicht Bevölkerungsprognosen für die Ruhrgebiets-Städte mit den in den Flächennutzungsplänen ausgeschriebenen Wohnbauflächen – und offenbart eine Diskrepanz. So stellt etwa die Stadt Hamm Bauland zur Verfügung, das für eine Bevölkerungssteigerung um 18 Prozent reicht, während das Landesamt für Statistik der Kommune in den kommenden 15 Jahren einen Bevölkerungsschwund von 4 Prozent prognostiziert. Die Stadt Hagen weist bei einem erwarteten Einwohnerverlust von 16 Prozent trotzdem Flächen für Potenzial für sieben Prozent mehr Bewohner aus.

Die Zahlen sind ein Problem, findet der RVR. In den Kommunen müsse ein stadtplanerischer Paradigmenwechsel erfolgen: Statt darauf zu schielen, den Nachbarstädten durch immer mehr Neubaugebiete Einwohner streitig zu machen, solle die Schrumpfung akzeptiert und kreativ gestaltet werden. Gemeinsam mit Wohnbauunternehmen und Kommunen müsse die Aufwertung bestehender Wohnflächen vorangetrieben und auch verstärkt über Abrisse – wie im Programm Stadtumbau West vorgesehen – nachgedacht werden. „Die Städte können vor dieser Erkenntnis nicht weglaufen“, sagt RVR-Direktorin Thoben. In einem „Masterplan Siedlung“ will der RVR entsprechende politische Vereinbarungen anregen.

In den Städten wird die Initiative des Regionalverbands unterschiedlich aufgenommen. „Auch wenn Bauland immer nachgefragt wird, muss man sich natürlich fragen, wie viele Bauflächen eine schrumpfende Stadt braucht“, sagt der Hagener Stadtplaner Martin Bleja. Ein Paradigmenwechsel brauche jedoch Zeit: „Es gibt da immer einen Timelag zwischen Wissenschaft und Politik.“ Andere Städte weisen die RVR-Vorschläge zurück. „Es gibt bei der Einwohnerentwicklung eine Konkurrenz mit dem Umland, die man nicht wegdiskutieren kann“, verteidigt der Hammer Stadtsprecher Lutz Rettig die hohen Flächenausweisungen der Kommune.

Für Dortmunds Planungsdezernent Ulrich Sierau ist die Studie des RVR nicht nur falsch in ihrer These, sondern auch wissenschaftlich schlecht gemacht: „Man kann nicht Zahlen gegenüberstellen, ohne über die Gründe nachzudenken“, sagt er. Er lasse sich nicht sagen, dass er „über den Durst“ Flächen ausgewiesen habe: „Die Region schrumpft nicht per se.“ Zumindest für Dortmund trifft das zu: Im Vergleich zu anderen Ruhrgebietskommunen hält die Stadt ihre Bevölkerungszahl nahezu konstant – nach Sierau auch ein Verdienst offensiver Flächenpolitik.