: Taten ohne Täter, Spenden ohne Absicht
Köln wird seinem selbst gestrickten Ruf, die nördlichste Stadt Italiens zu sein, zunehmend gerecht. Lebenslust in Tateinheit mit mafiosen Strukturen hat den Bürgern dieses Gemeinwesens 2004 so manches Wunder beschert. Jahresabschlusserkenntnisse
Von Heinrich Pachl
Für Köln war das Jahr 2004 einmalig, hat es doch diesem Gemeinwesen zum Durchbruch zu sich selbst verholfen. 2004 war vermutlich das allerkölscheste Jahr seit Menschengedenken. Köln rühmt sich, die nördlichste Stadt Italiens zu sein – wohl wegen der Lebenslust in Tateinheit mit mafiosen Strukturen, die hier auf den Namen „Klüngel“ hören und deswegen von den Kölschen mit Spaß an der Freud geschluckt werden.
Dieser selbst gestrickte Ruf erschien bislang gewollt, selbstbesoffen und angeberisch. Aber das hat sich in den vergangenen zwölf Monaten schlagartig geändert. Gleich im Januar ging‘s los mit der Bürgeranhörung zum geplanten Ausbau des Straßengürtels in Nippes und Niehl. Dabei verhandelte man die Frage, wie der zu erwartende Verkehrslärm gebändigt werden könne. Und die Verwaltung enthüllte eine Sensation: Der künftige Autolärm – so Krach machend wie startende Großflugzeuge – wird erträglich gemacht, indem man direkt an der geplanten vierspurigen Trasse neue Häuser baut und dadurch einen quasi „natürlichen“ Lärmschutz für die Wohngebiete dahinter schafft.
Ist das nicht Spitze? Und im Lockprospekt für die Käufer der dortigen Eigentumswohnungen kein Hinweis über diesen schwerwiegenden Nachteil, kein Wort darüber, was sie, ginge es nach dem Willen der Planer, demnächst direkt vor der Haustür erleben müssten, dass ihnen Hören und Sehen vergeht.
Aber zum Jahresbeginn ging es auch kulturell hoch her. Während man über den Abbruch der maroden Oper debattierte, kam im Landgericht an der Luxemburger Straße eine Schmierenkomödie zur Aufführung – mit echten Schurken und Verführern, aber kölscher Lösung: Die Schuldigen kommen mit einem blauen Auge davon, der Betrug am Bürger durch die Müllgebühren bleibt bestehen. Motto: „Patient tot, Operation läuft weiter“. Unvergessener Höhepunkt dabei der Auftritt von Lothar Ruschmeier in der Rolle des Zeugen, der sich an nichts erinnern kann, nicht mal an sich selbst, so dass er sogar bei der einfachen Frage des Richters, ob er überhaupt mal Oberstadtdirektor in Köln gewesen sei, ins Stottern kam. Gegen solche Spitzenleistung an autosuggestiver Teilzeitdemenz wirken Simulanten wie Ex-Diktator Pinochet wie blutige Laien. Das war in dieser kölschen Dreigroschenoper eine Spitzenbesetzung des Mackie Messer, der nichts sieht, nichts weiß, dem man nichts beweisen kann. Genau in diesem Sinne wurde die Klüngelklamotte um Müll und Millionen im Frühsommer fortgeschrieben. Der Strafrichter, der Mackie Ruschmeier vernommen und mit Erinnerungsansprüchen getrietzt hatte, wurde anschließend von zwei Ex-Kriminalern bespitzelt. Ein Skandal, den es nördlich der Alpen bis dato nicht gegeben hat.
Aber die Steigerung in kölsche Qualität kommt erst noch. Normalerweise handeln Schnüffler für einen Auftraggeber, dem sie dementsprechend ihre Erkenntnisse übermitteln. Die Kölner Detektive haben ihr Dossier über den Richter auch weitergeschickt – an eine Detektei, die sich im Teilbesitz der Firma unseres erinnerungsamputierten Zeugen befindet, die aber damit nichts zu tun hatte. Und die Millionenfrage lautet: Wer wollte überhaupt was über diesen Richter wissen und gab dafür Geld aus?
Für den Ruf als nördlichste Stadt Italiens waren der Immobilienprospekt, ein erinnerungsamputierter Zeuge und auftragsfreie Schnüffler nur der symptomatische Auftakt. Zu Italien gehören Klerus, Kirche und Wunder. Auch Köln hat sich 2004 als Ort der Wunder geoutet. Und Wunder sind bekanntlich Wirkungen, die man auf natürliche Weise nicht erklären kann. Das war in den Jahren davor bei den Schmiergeldzahlungen um die Müllverbrennung noch primitiv und anders. Da wurde gezahlt, um einen Auftrag zu bekommen, und anschließend gespendet, um die Spuren zu verwischen.
Das Jahr 2004 ist qualitativ weiter. Äußeres Anzeichen war die Renovierung des Ratssaals und vor allem die Weihe, die er dadurch erfahren durfte, dass Kardinal Meisner, bekannt als „Daumen Gottes“, diesen Raum salbte und segnete. Eigentlich eine Unfassbarkeit, die es ebenfalls nur in Kölle geben kann. Da müht man sich in Kabul, dass endlich auch im hintersten Hindukusch die Trennung von Religion und Staat beginnt – und hier wird mit dem Soldatenprediger, Abtreibungsgegner und Schwulen-Ausgrenzer Meisner die Talibanisierung eingeläutet. Doch der eigentliche Sinn ist klar. Mit der Salbung des Ratssaals konnte nur die Segnung des Schmieröls gemeint sein, steht doch schon in der Schrift, dass man mit dem anvertrauten Pfund wuchern soll.
Und so haben die kölschen Wunder des Jahres 2004 ein gemeinsames Strickmuster: Es sind Taten ohne Täter, Täter ohne Strafe und vor allem Geldspenden ohne Absicht. Der Kölner Landtagsabgeordnete Arentz beispielsweise bekommt Geld von Rhein-Braun/RWE, ohne dass er etwas dafür leisten darf. Das Jahresabschlusswunder aber stellt Kölns Oberbürgermeister Schramma persönlich dar. Sein Wahlplakat wurde seinerzeit von einem Unternehmer gespendet, ohne dass das Geschenk entgegengenommen wurde.
Die Kölner CDU muss deswegen für einen falschen Kassenbericht Strafe zahlen, ohne dass jemand einen Fehler gemacht hat, und der Spender der Plakats, der Bauunternehmer Ewald Hohr, verwurstet das große Bundesbahngelände in Nippes unter Umgehung fester Auflagen und Zusagen, ohne dass er in der Stadt geschäftliche Interessen hat.
Zum Kölner Wunder des Jahres 2004 gehört aber auch, dass es zwar Betrogene, aber keine Opfer gibt, weil zwischen den Gesalbten und den Eingeseiften Spaß an der Freud herrscht. Und da ist es nur sinnvoll, dass der Plakatierte und Gewählte sich als Saubermann mit dem eisernen Besen präsentieren kann und dafür als Abzeichen sinnvollerweise einen Schrubber unter der Nase trägt.
Denn, das ist die Jahresabschlusserkenntnis 2004, über Köln macht man keine Witze, über Köln lacht man direkt.