FELIX LEE POLITIK VON UNTEN
: Landeier atmen länger

PolitaktivistInnen aus den Städten lästern gern über die Protestkultur auf dem Land. Zu Unrecht

So ganz frei von Diskriminierung sind auch linke PolitaktivistInnen nicht. Zumindest nicht die in der Stadt – mich eingeschlossen.

Ich kann mich erinnern, wie vor einigen Jahren eine Berlinerin einer antimilitaristischen Initiative auf einer linken Onlineplattform vorschlug, doch mal auf den Widerstand gegen das Bombodrom zu schauen. Dabei handelt es sich um diesen Truppenübungsplatz im Norden Brandenburgs, auf dem Bundeswehrsoldaten doch tatsächlich wie wild Bomben ab- und mit Granaten um sich werfen wollen. Der Bürgerprotest – den es im Übrigen bereits seit 1994 gibt – biete doch „bestes Politisierungspotenzial für mehr“.

Als ich mir vor einigen Wochen das Protestspektakel gegen das Bombodrom mal aus nächster Nähe angeschaut habe, war ich ehrlich überrascht von diesen Landeiern. Irgendwie hatte sich auch bei mir das Bild festgesetzt, bei den Bombodrom-GegnerInnen handele es sich um ein paar versprengte Friedensbewegte im Rentenalter und eingesessene Brandenburger, die – aus gutem Grund – sich verzweifelt um ihre bereits halb verlassenen Dörfer sorgen. Ich hatte gedacht, nach 17 Jahren Ostermärscheorganisieren und 27 (!) Prozessegewinnen müsste es doch Verschleißerscheinungen geben. In der Stadt wäre das nämlich so.

Stattdessen stieß ich auf Tausende hoch motivierter DemonstrantInnen, darunter Familien, Punks und Künstler. Die Parteijugend der CDU war ebenso vertreten wie der Schwarze Block. Mit einer so lebendigen Protestkultur hatte ich in Brandenburg nicht gerechnet.

Dabei hätte das niedersächsische Wendland mich längst eines Besseren belehren können. Dort gibt es den Protest gegen Atommülltransporte sogar seit 30 Jahren. Und auch dort ist von politischem Überdruss nichts zu spüren. Ebenfalls im Gegenteil: Der Widerstandsgedanke ist so verinnerlicht – sonntags geht der Wendländer eben auf Schienen spazieren statt im Wald.

Und so sind dort die alljährlichen „Wunderpunkte“ zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten längst keine reinen Kulturveranstaltung mehr, wie es sie häufig auf dem Land gibt, sondern verknüpft mit der Forderung „Atomkraft, nein danke“. PolitaktivistInnen aus Berlin und Hamburg haben sie längst als Ausflugsziel entdeckt.

■ Der Autor ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen

Foto: Wolfgang Borrs