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Archiv-Artikel

Erfolgreiche Flucht aus der Bürokabine

Selim S. wehrt sich gegen seine Abschiebung. Bereits zweimal wurde er unter fragwürdigen Umständen bei der Ausländerbehörde festgehalten

VON PHILIPP DUDEK

Abgeschoben wird er jetzt erst mal nicht. Dabei hat die Berliner Ausländerbehörde in den letzten Monaten nichts unversucht gelassen, Selim S. zurück in das Kosovo zu schicken – in das Land, in dem er von serbischen Milizen verfolgt und gefoltert wurde, weil er sich im politischen Untergrund engagierte. „Selim gehört mit Sicherheit zu den Leuten, die unbedingt abgeschoben werden sollten, bevor das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft tritt“, sagt Eva Weber von der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration, die S. betreut.

Ab morgen gilt das neue Zuwanderungsgesetz. Mit der darin enthaltenen Härtefallregelung kann eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn sich eine Kommission aus dringenden humanitären oder persönlichen Gründen dafür ausspricht. Selim S. hätte gute Chancen, in Berlin bleiben zu dürfen. Jedoch zählte er für die Ausländerbehörde offenbar nicht zu den Härtefällen – obwohl er nachweisbar suizidgefährdet ist und unter einem posttraumatischen Belastungssyndrom leidet.

Seit Januar 1997 lebt Selim in Berlin. Für seinen weiteren legalen Aufenthalt sollte sich der 32-jährige Kosovo-Albaner eine so genannte Grenzübertrittsbescheinigung besorgen. Als er das Papier am 12. November beim Landeseinwohneramt in Lichtenberg abholen will, wird er auf dem Amt verhaftet und ins Abschiebegefängnis Grünau gebracht. Der Mann will auf keinen Fall in das Kosovo zurück. „Eher bringe ich mich um“, soll er gesagt haben, erinnert sich Eva Weber. Selim S. wird im Gefängnis mit Tabletten ruhig gestellt und anschließend ins Krankenhaus Hedwigshöhe gebracht. Obwohl die Ärzte ihn für haftunfähig erklären, bekommt S. am nächsten Tag Besuch von der Polizei. „Die haben ihm gesagt, sie würden ihn notfalls in Begleitung eines Arztes abschieben“, sagt Weber.

Am 15. November wird Selim S. aus dem Krankenhaus entlassen. Mitte Dezember versucht er noch einmal beim Einwohneramt in Lichtenberg seine Papiere abzuholen. Er betritt eine Kabine, die ihn von dem Großraumbüro der Sachbearbeiter trennt. Während er mit einer Sachbearbeiterin spricht, wird er von deren Kollegin in der Kabine eingesperrt. Trotzdem gelingt ihm die Flucht. Er steigt über die Kabinenwände und springt aus dem Fenster. „Du hast keine Chance. Du kommst noch an die Reihe“, sollen ihm die Frauen hinterhergerufen haben, sagt Weber.

Selims Anwältin, Anja Hausmann, hält die Reaktionen der Sachbearbeiterinnen für „stark übertrieben“. „Es war absolut unnötig, S. in der Kabine einzusperren.“ Schon damals hätte es keinen aktuellen Abschiebebescheid gegeben. Hausmann hat mittlerweile eine Dienstaufsichtsbeschwerde eingereicht. Die beschuldigte Sachbearbeiterin war gestern nicht zu erreichen. Die Ausländerbehörde hätte sich für den Vorfall allerdings entschuldigt, sagte Hausmann.

Inzwischen wurde der Fall von Selim S. zur Härtefallprüfung angenommen. Solange das Verfahren läuft, kann er nicht abgeschoben werden. Eva Weber rechnet erst im Juni mit einem Ergebnis. Ob Selim S. dann bleiben darf, ist ungewiss.