Feindliche Übernahme

WAHLRECHT Mit einem Scheinkompromiss wollen CDU und SPD einen Volksentscheid über das Wahlrecht verhindern. Das Angebot an „Mehr Demokratie“ hat Hintertürchen

Mit dem Volksentscheid „Ein faires Wahlrecht für Hamburg“ will der Verein „Mehr Demokratie“ den Einfluss der Bürger auf die personelle Zusammensetzung der Bürgerschaft erhöhen. 71 der 121 Abgeordneten werden in den 17 Wahlkreisen gewählt, der Rest über die Landesliste.

■ Die WählerInnen haben zehn Stimmen zu vergeben: Fünf für die Wahlkreisliste ihres Wahlkreises und fünf für die Landesliste. Mit diesen Stimmen kann man nur noch Personen wählen, keine Parteien. Der Wähler kann also bestimmen, wer über die Landesliste ins Parlament kommt.

■ Die Stimmen kann man bei einzelnen Personen häufeln (kumulieren) oder innerhalb einer Partei oder auf Abgeordnete unterschiedlicher Parteien verteilen (panaschieren).

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Es ist die große Koalition gegen mehr Demokratie. Mit einem juristischen Kniff wollen die Volksparteien CDU und SPD einen Volksentscheid über das Hamburger Wahlrecht am 27. September verhindern. Der Initiative „Mehr Demokratie“ haben sie am Freitag einen Vorschlag mit einem gewaltigen Hintertürchen unterbreitet: Sollte die Initiative ihn nicht akzeptieren, würde die Bürgerschaft das von der Initiative gewollte Wahlrecht zum Schein übernehmen – mit dem Ziel, es wieder zu ändern. „Es ist uns bewusst, dass das passieren könnte“, sagt Manfred Brandt von der Wahlrechtsinitiative. „Wir prüfen das sehr sorgfältig.“

Dieser Trick sei „nur theoretisch denkbar“, beschwichtigt SPD-Rechtsexperte Andreas Dressel: „Wir wollen einen echten Kompromiss mit befriedender Wirkung.“ Sein CDU-Pendant Robert Heinemann hingegen bestätigt den Verdacht. Er wolle nicht ausschließen, „dass man sich nach der nächsten Wahl das noch mal anguckt und juristisch überprüft“. Das käme einer feindlichen Übernahme gleich: Der Gesetzentwurf würde nur beschlossen werden, um ihn leichter wieder abschaffen zu können.

Mitte Februar hatte „Mehr Demokratie“ ihren Wahlrechts-Vorschlag zu einem erfolgreichen Volksbegehren geführt (siehe Kasten). Dieses kann mit einem Volksentscheid am Tag der Bundestagswahl in die Hamburger Verfassung eingeführt werden. Veränderbar wäre es später nur mit Zweidrittel-Mehrheit.

Die Bürgerschaft kann aber auch einen Volksentscheid überflüssig machen, indem sie das Volksbegehren akzeptiert. Das geschähe jedoch mit einem gewöhnlichen Gesetz, das wiederum mit einfacher Mehrheit in der Bürgerschaft geändert werden könnte. Genau so hatte die CDU 2006 mit ihrer absoluten Mehrheit den 2004 erfolgreichen ersten Volksentscheid amputiert.

CDU und SPD bieten der Initiative nun an, die Personenwahl in den 17 Wahlkreisen zu akzeptieren. Bei der Zweitstimme aber sollen die WählerInnen sich zwischen den Parteien entscheiden müssen, statt sich einzelne KandidatInnen aus den Landeslisten nach Belieben aussuchen zu dürfen. Dieser Kompromiss solle in der Verfassung mit entsprechend hohem Änderungsschutz verankert werden. Bei Ablehnung des Kompromisses würde diese Sicherung entfallen.

Am Mittwochabend wollen sich „Mehr Demokratie“ und Vertreter der vier Bürgerschaftsparteien zu einer Verhandlungsrunde treffen. GAL und Linke unterstützen im Grundsatz die Initiative, CDU und SPD aber hätten die Macht, das Angebot mit Hintertürchen durchzusetzen. Manfred Brandt von der Initiative glaubt jedoch an gute Erfolgsaussichten eines Volksentscheids am Tag der Bundestagswahl: „Ich frage mich, ob wir einen Kompromiss überhaupt nötig haben?“