flutkatastrophe
: Sensation und Trauer

Wer bietet mehr? Für Medien gilt: Je höher – vermutete – Opferzahlen, desto freundlicher das Geschäftsklima. Das lässt derzeit die Zahl der in Asien vermissten Deutschen steigen. Dauerhafte Armut langweilt das Publikum schnell. Unerwartete Katastrophen können hingegen leicht vermarktet werden. Der schlichte Vorwurf, die Medien seien sensationsgierig, greift zu kurz: Gäbe es nicht genügend Abnehmer, dann gäbe es auch die entsprechenden Berichte nicht.

KOMMENTAR VON BETTINA GAUS

Voyeurismus und Sensationsgier sind nicht sympathisch, aber weit verbreitet. Im Unglück selbst des besten unserer Freunde liegt etwas, was uns nicht vollständig missfällt: ein böser Spruch, gerade weil er stimmt. Manche alten Leute lesen Todesanzeigen vor allem deshalb, weil es sie befriedigt, wenn sie ihre Altersgenossen überleben.

Damit schaden sie niemandem. Eine nationale Trauerfeier für die Opfer des Seebebens in Südasien, wie jetzt von führenden Politikern angeregt, schadet auch niemandem – und wenn sie nur einen einzigen trauernden Angehörigen tröstet, dann soll sie stattfinden. Aber es wäre erfreulich, wenn die Öffentlichkeit sich hinsichtlich ihrer Befindlichkeit nicht länger einer kollektiven Selbsttäuschung hingäbe.

Zu beobachten ist derzeit nicht etwa landesweite Erschütterung. Sondern ein selbstgefälliger Respekt vor der eigenen Betroffenheit: Seht her, wie traurig ich bin! Ich bin so unglaublich sensibel, dass mich eine sehr weit entfernte Katastrophe entsetzlich aufwühlt. Anders ausgedrückt: Ich bin ein warmherziger und mitfühlender Mensch.

Schön, wenn das jemand von sich glauben kann. Er oder sie räumt damit allerdings ein, dass Fernsehbilder und einfache Möglichkeiten der Identifikation – wie das Leid von Touristen – nötig sind, um solch starke Gefühle hervorzurufen. Kriege, die ohne Fernsehteams stattfinden, Kinderprostituierte, die an Aids erkranken, und Menschen, die ohne sauberes Wasser auskommen müssen, erträgt die Öffentlichkeit wohlhabender Länder nämlich recht gut. So lange sie der Regelfall sind und nicht die spektakuläre Ausnahme.

Für Notleidende stehen immer nur begrenzte Mittel zur Verfügung. Die Flutwelle dürfte sich mittelfristig nicht nur für die unmittelbar Betroffenen als Katastrophe erweisen. Tut uns Leid, wir haben schon gegeben: Neu ist der Satz nicht. Als der Ostblock zusammenbrach, hat ihn die Dritte Welt schon einmal zu hören bekommen.

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