: „Theater ist doch heute ein Witz“, sagt Christoph Schlingensief
Unter seiner Intendanz würde das Deutsche Theater zum OP-Saal. Er will Schauspiel ohne den Blick zurück
taz: Herr Schlingensief, kränkt es Sie, dass die Feuilletons Ihr Interesse an einer Intendanz an dem traditionsreichen Deutschen Theater in Berlin für einen Witz halten?
Christoph Schlingensief: Tun sie doch gar nicht. Ganz im Gegenteil! Sie sichern sich ab, falls sich Herr Flierl auch noch für die Regisseure Tankred Dorst oder Andrea Breth entscheidet. Gut aber, dass Sie von Interesse sprechen und nicht von Bewerbung. Ich habe mich nämlich gar nicht selbst ins Gespräch gebracht, sondern bin gefragt worden, und das nicht von Kultursenator Thomas Flierl, sondern von der Boulevardzeitung B.Z., die neuerdings mit der FAZ um die Feuilletonhoheit kämpft. Und wenn man mich aufrecht fragt, dann antworte ich auch aufrecht.
Langweilt Sie die Volksbühne?
Als Theater wird die Volksbühne immer eine Art Elternhaus für mich bleiben. Ohne die Aufbruchstimmung und Experimentierfreude, die da Mitte der 90er-Jahre geherrscht haben, würde ich heute gar keinen graden Satz über Theater formulieren können. Aber auch Eltern kommen in die Jahre, ihr Blick verklärt sich, und ihre Kinder wollen sich schließlich emanzipieren. Ich bliebe ja in der Nähe.
Sie sind also im Establishment angekommen?
Um solche 68er-Kindereien geht es heute doch gar nicht mehr. Wichtig ist doch, eine Idee zu vertreten, mit allen Überzeugungen und natürlich auch allen Zweifeln, die man daran hat. Ich schriebe mir meine Bilanzen nicht schön, sondern würde jedes Versagen noch mal so sehr betonen. Theater heute ist doch ein Witz. Es hat nicht nur den Anschluss ans Leben verpasst, es hat nicht einmal mehr Anschluss an die Kunst.
Welche Pointe hat der Witz?
Die neueste Pointe ist die augenblickliche Huldigung von Regisseuren wie Luc Bondy oder Andrea Breth, die Theater wortwörtlich wieder als „moralische Anstalt“ bezeichnen, in der sich Gutmenschen auf und vor der Bühne in ihrem Weltschmerz suhlen dürfen. Stattdessen ginge es doch darum, diesem Schmerz Ausdruck zu verleihen und ihn herauszuschreien.
Das wäre die Grundlage für Ihr Programm am Deutschen Theater?
Es ginge mir um Konfrontation und Auseinandersetzung, nicht um die x-te Tennessee-Williams-Adaption, weil wir ja alle Herrn Bush so gemein finden. Das ist altes Theater für ein altes Europa. Dieser permanente Blick zurück, weil einem zu Gegenwart und Zukunft nichts mehr einfällt, langweilt doch nur noch. Das ist genau das selbstgenügsame Unterhaltungstheater, das seine Macher in ihren Festtagsreden so gerne verfluchen.
Sie plädieren für einen Abschied von den Klassikern?
Ich wäre für eine personelle und inhaltliche Frischzellenkur. Einerseits mittels Klassik, die aber bitte auch Klassik bleibt, weil Herr Brecht oder Herr Schiller nun einmal tot sind und von unserem Leben einfach keine Ahnung haben; andererseits verstünde ich ein von mir geleitetes Theater als OP-Saal, in dem wir aneinander herumoperieren, ohne Scham, ohne Weltformel, ohne Krankenversicherung und ohne Doktortitel. Das täte weh, hinterließe Narben. Aber daran würde ich mich messen lassen.
Die „B.Z.“ zitierte Sie mit der Forderung, das Theater brauche eine „revolutionäre Auffrischung“ – kann man als Intendant revolutionär sein?
Den Begriff „revolutionär“ hat die Dame von der B.Z., die seltsamerweise gar nicht mich, sondern zuerst meinen Vater in Oberhausen telefonisch nach meinen Ambitionen befragte, natürlich mit Wollust zitiert. Das klingt dann gleich wieder nach Größenwahn, nach Abrissbirne. In Anbetracht von Joschka Fischer kann ich mit diesem Begriff eigentlich gar nichts anfangen. Ich hab ihn zum ersten Mal in Bayreuth von Edmund Stoiber gehört, als er mit seiner Muschi aus dem „Parsifal“ kam. „Revolutionär“ ist heute einfach alles, was Bayern, Christdemokraten und Theaterkritiker noch aufwühlen kann. Dieses zusammengeflickte B.Z.-Interview besteht ja zum Großteil aus Antworten meines Vaters. Er hat der B.Z.-Dame aber versichert, dass ich ein guter Organisator bin.
Sie würden sich in einem Umfeld wohl fühlen, in dem „B.Z.“-Damen Kulturpolitik machen?
Um kulturpolitischen Filz, das kann ich jetzt schon schriftlich geben, würde ich mich überhaupt nicht scheren. Meine einzige Beziehung zum Filz pflege ich über Beuys.
Würden Sie für ein möglichst großes Publikum ästhetische Kompromisse eingehen?
Das gegenwärtige Theaterproblem ist doch, dass man mit Blick auf die Portokasse nur noch Kompromisse macht und gleichzeitig so tut, als strotze man vor Kompromisslosigkeit und radikaler Innovation. Ich würde für ein künstlerisch offenes, das heißt unbelehrbares und nicht belehrendes Theater plädieren, das dem Publikum die Frage stellt, ob es sich endlich mal traut, kompromisslos zu sein.
Das wäre unsere Rettung?
Für Deutschland bricht Schröder seinen Urlaub schon lange nicht mehr ab. Der Hundesalon läuft gut, das Adoptivkind wird jetzt langsam für den Wahlkampf trainiert, um Menschenrechte kümmern sich Putin und die Chinesen. Im Machtapparat läuft alles nach Plan. Wieso also soll ausgerechnet das Theater irgendwen retten? Ganz im Gegenteil, Theater soll uns mal wieder so richtig in die Bredouille bringen – nach allen Regeln der Kunst.
INTERVIEW: SUSANNE LANG