: Pistolen sind im Wahllokal verboten
Die Palästinenser wählen zum ersten Mal seit 1996 einen neuen Präsidenten. Favorit Mahmud Abbas profitiert von einer hohen Beteiligung. In Ostjerusalem sind nicht alle Wähler in den Listen registriert. Doch die EU-Beobachter sind zufrieden
AUS JERUSALEM UND ABU DIS SUSANNE KNAUL
Zuckerwatte und Popcorn verkauft ein pfiffiger Händler, der seinen Handwagen direkt am Eingang der Ismail-Jungenschule von Abu Dis postiert hat. Die Schule ist eine der knapp 2.000 Stationen, an denen die Palästinenser gestern ihre Stimme für die Präsidentschaftswahl abgeben konnten. Das fahrbare Lädchen ist praktischerweise mit den Fahnen gleich zweier Parteien ausgestattet: der größten Partei Fatah und der Hamas, wobei die islamische Bewegung vor den Wahlen zum Boykott aufrief.
Fatah-Spitzenkandidat Mahmud Abbas, alias Abu Masen, hätte sich kein passenderes Wetter für den Wahltag wünschen können. Der sicherere Gewinner fürchtete nur noch eine geringe Beteiligung, doch strahlender Sonnenschein lockte viele Palästinenser schon in den Morgenstunden ihres arbeitsfreien Tages auf die Straße. In der Ismail-Schule gaben bis kurz nach 11 Uhr bereits 150 der insgesamt 543 hier registrierten Wahlberechtigten ihre Stimme ab.
Jeder Stimmberechtigte muss fünf – meist von Lehrerinnen besetzte – Stationen durchlaufen; von der Überprüfung des Ausweises über die Markierung des Daumens mit zwei Tage lang nicht abwaschbarer Tinte bis hin zur Abgabe des Wahlzettels. An der Tafel im Klassenzimmer hängen Verbotsschilder: ein dick mit Rot umkreistes durchgestrichenes Handy auf dem einen, eine Pistole auf dem anderen.
Die beiden eigens angereisten Europaparlamentarier Armin Laschet (CDU) und Ursula Stenzel (ÖVP), die zusammen acht Wahlstationen im nördlichen Jerusalem besuchen, sprechen von einem „überkorrekten Ablauf“. Insgesamt sind 28 EU-Abgeordnete gekommen. Viele Palästinenser hätten kritisiert, dass die Wahlen unter Besatzung stattfinden, berichtet Laschet, und doch „sind es die demokratischsten Wahlen in der gesamten arabischen Welt“. Stenzel glaubt, dass der palästinensische Urnengang eine Herausforderung für Israel sei, da es „nun nicht länger die einzige Demokratie in der Region ist“.
Nicht ganz dieser Meinung scheint ein junger Palästinenser zu sein, der auf einem großen Bananenstrunk vor dem Hauptpostamt in Ostjerusalem sitzend sein Protestschild hoch hält, auf dem steht: Israel ist eine Bananenrepublik. Hunderte Palästinenser mussten überrascht feststellen, dass das Wahlbüro, für das sie sich registriert hatten, ihre Namen nicht führt.
„Mir bleibt jetzt nichts übrig, als Wahlstation für Wahlstation abzuklappern, um zu sehen, wo ich meine Stimme abgeben kann“, wettert Dr. Mahdi Abdul Hadi, Direktor der Passia (Palästinensische akademische Studiengesellschaft für innere Angelegenheiten), der sich erst drei Tage vor der Wahl registrieren ließ. Das Hauptpostamt Jerusalems sei „sowohl von meinem Wohlsitz als auch von meinem Büro aus gesehen die nächstgelegene Wahlstation“. Die Israelis hätten die Namen „willkürlich verteilt, um mich formell umzusiedeln“, meint Hadi.
Das Gerücht, man laufe bei einer Stimmabgabe außerhalb Jerusalems Gefahr, seine Jerusalemer Papiere zu verlieren, da man so bestätige, zu einem anderen Wahlkreis zu gehören, macht schnell Runde. Es hindert offenbar viele daran, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Nur knapp 6.000 Palästinenser von insgesamt 170.000 in Ostjerusalem dürfen in sechs Postämtern der Stadt wählen. Diese „Briefwahl“ ist eine Reaktion auf eine Forderung der israelischen Regierung, die sich um ihre Souveränität in der Hauptstadt sorgte.
Doch „diese Stadt kann nicht nur jüdisch sein“, findet Hadi und spricht angesichts der komplizierten Wahlprozeduren von einer „Kultur des Gefängnisses“. Von Geburt an habe er in dieser Stadt gelebt, doch „Israel will mir meine Identität rauben“.
Vor dem „inoffiziellen“ Wahlbüro in Jerusalem findet ein Polithappening statt – vor den Augen der Grenzpolizei, die am Posteingang ihren Militärjeep parkt. Internationale Beobachter, Solidaritätsbewegungen und jüdische Extremisten finden sich ein. Zu Zwischenfällen kommt es dennoch bis zum Nachmittag nicht. Die Fatah organisierte schon am Vormittag Taxis, die die Palästinenser kostenlos in die Vororte transportierten, wo sie ihre Stimmen abgeben können. Fast alle sind mit dem Bild von Abu Masen geschmückt.