: Die große Grünfärberei
KLIMA Am Mittwoch reisen drei skandinavische Königskinder nach Grönland. Ein ehrliches Engagement oder freches Greenwashing?
BUCHAUTOR TORALF STAUD
VON JOHANNES GERNERT
Sie tragen alle diese Winterjacken: Angela Merkel hatte eine an, als sie 2007 Grönlands Gletscher besuchte, und auch Sigmar Gabriel, der Umweltminister. Eine rote Jacke mit schwarzen Streifen. Sie sah fast wie die aus, mit der der norwegische Kronprinz Haakon vor einem Jahr durch den arktischen Ozean fuhr. Am Mittwoch fährt Haakon wieder nach Grönland, zusammen mit den zwei anderen skandinavischen Thronfolgern Prinz Frederik von Dänemark und Prinzessin Victoria von Schweden.
Die Polarinsel ist eine moderne Umwelt-Pilgerstätte für Politiker aus aller Welt geworden. Aber längst stehen die Reisen dorthin im Verdacht, dass sie vor allem dem Image der Reisenden guttun sollen.
„Sie kriegen dort eine wirkliche Vorstellung davon, was Klimawandel heißt“, sagt Matthias Machnig, Staatssekretär von Umweltminister Gabriel. „Das ist tief beeindruckend.“ Es sei zweifellos eine eindrucksvolle Reise, findet der Journalist Toralf Staud, wenn man das Eis unter den Füßen knistern und schmelzen höre. „Aber es geht mindestens genauso um die Bilder, die davon zu Hause ankommen. Auch Königskinder wollen in der Öffentlichkeit anerkannt sein.“
Zwei Tage bevor die ersten Fotos der königlichen Klimaexpedition in den Medien erscheinen werden, veröffentlicht Staud sein Buch „Grün, grün, grün ist alles, was wir kaufen“, Untertitel: „Lügen, bis das Image stimmt.“ Es handelt von Firmen, die versuchen, rußigen Rauch und radioaktiven Müll irgendwie grün einzufärben. Es gibt ein englisches Wort dafür: Greenwashing, Grünfärberei. Bisher ist es vor allem für Unternehmen verwendet worden. Aber Mitte März stand der Klimaforscher James Hansen in einer Kathedrale im britischen Coventry und rief: „Greenwash ist die größte Bedrohung. Es bedeutet: so zu tun, als würde man verstehen. So zu tun, als würde man etwas tun.“
Angela Merkel haben Bilder aus dem Eis vorübergehend zur Umweltkanzlerin gemacht, und auch Sigmar Gabriel nutzten sie. „Man steht da, als täte man etwas“, erklärt Toralf Staud.
So tun, als ob: Das verbindet die Grünfärberei in Politik mit der in der Wirtschaft.
Die Studie „Die sieben Sünden des Greenwashing“, herausgegeben von der Umweltmarketing-Firma TerraChoice, stellt fest, dass sich „grüne“ Magazin-Werbeanzeigen 2005 bis 2008 in den USA mehr als verdoppelt haben. Vergehen Nummer eins: „die Sünde der versteckten Kosten“. Umweltvorzüge eines Produkts werden gepriesen, negative Folgen dagegen verschwiegen.
Eine Strategie, die sich der deutsche Umweltminister von den Werbefachleuten aus den USA abgeschaut zu haben scheint. Ein neues Kohlekraftwerk, verkündet Gabriel, verbrauche weniger als ein altes. Völlig richtig, sagt Staud. Aber erstens seien die neuen meist größer und zweitens werde nicht für jedes neue ein altes stillgelegt. Gabriel hält er für einen Greenwashing-Vollprofi. „Wie er es hinkriegt, neue Kohlekraftwerke als Klimaschutz darzustellen – die ganz hohe Kunst.“ Ist Gabriel ein besserer Greenwasher als Merkel? Nein, so weit würde Staud nicht gehen. Aber dass er mit der Futterpatenschaft für Eisbär Knut die öffentliche Grönland-Erinnerung aufgefrischt hat, hält er für einen „geschickten Schachzug“.
Knut gegen Kohle. James Hansen, der Greenwash-Ankläger aus den USA, hatte wegen der Kraftwerke schon einen Brief an Merkel verfasst. Er wollte ihn auf Deutsch veröffentlichen. Der oberste Klimaberater der Kanzlerin, Hans Joachim Schellnhuber, bat ihn, das zu lassen, und lud ihn zu einem Gespräch mit Gabriel ein. Auch ohne den öffentlichen Brandbrief ist Merkels Umweltvorsprung aus Grönland aber dahingeschmolzen, nachdem sie in Brüssel erfolgreich für die deutsche Autolobby und mehr Abgase gekämpft hat.
Die Kanzlerin eine Grünfärberin? Rainer Baake, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, ist dagegen, den Begriff auf die Politik auszuweiten. Baake war Staatssekretär unter dem Grünen Jürgen Trittin, bevor er zur Umwelthilfe wechselte. Er kennt das Geschäft. „Es war richtig von der Kanzlerin, nach Grönland zu reisen“, sagt er. „Sie hat damit unterstrichen, dass wir ein Riesenproblem haben. Das Thema bekommt damit eine aufgeladene Bedeutung.“ Während ihres EU-Engagements für die Autolobby habe man allerdings erlebt, „dass Merkel ihre Erkenntnisse nicht in konsequentes Handeln umsetzt“.
Egal ob in Politik oder Wirtschaft – tatsächliche Entscheidungen prägt der grüne Werbeanstrich selten, wie auch Staud beobachtet. „Lieber ein grüner Dreh, als die Produktion komplett umzustellen.“ Könnte aber sein, überlegt der Autor, dass die Königlich-Skandinavische Arktisexpedition nachhaltiger wirkt als der Umwelt-Trip von Merkel und Gabriel. „Vielleicht haben Herrschaftsformen, die auf Erbfolge angelegt sind, da einen langfristigeren Blick.“