: Mach mir den Jerry
Ein BBC-Produzent tritt wegen der Ausstrahlung von „Jerry Springer – the Opera“ zurück. Das Land hat einen handfesten Medienskandal. Fundamentalistische Christen drohen mit rechtlichen Schritten
AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK
Man nehme Jesus als Windelfetischisten, der seiner großen Liebe gesteht, ein „bisschen schwul“ zu sein; dazu einen Stepptanz des Ku-Klux-Klan sowie ein heftiges Wortgefecht zwischen Jesus und dem Teufel – und fertig ist der Medienskandal. Der leitende BBC-Produzent Anthony Pitts ist gestern zurückgetreten, um gegen die Ausstrahlung dieser „blasphemischen Oper“ zu protestieren. „Jerry Springer – The Opera“ basiert auf der umstrittenen US-Talkshow von Jerry Springer. Sie läuft seit Monaten erfolgreich im Londoner Westend mit bislang 500.000 Zuschauern. Am Samstag wurde die Oper auf BBC 2 ausgestrahlt.
Pitts, Produzent bei Radio 3, wollte bereits vergangenen Freitag zurücktreten, doch BBC-Generaldirektor Mark Thompson überredete ihn, sich die Sendung erst mal anzusehen, um sein eigenes Urteil zu fällen. Das hat er nun getan: „Nachdem ich mir die ganze Show sowie die einstündige Einführung angeschaut habe“, sagte Pitts, „bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Blasphemie viel, viel schlimmer ist, als es selbst in den detailliertesten Presseberichten angekündigt worden war. Meine Worte können die Widerlichkeit gar nicht richtig beschreiben.“
Besonders anstößig fand der Katholik Pitts die Darstellung von Jesus am Kreuz, der „in einer Art gekleidet war, die sexuelle Perversion suggerierte“. Darüber hinaus habe man sich wiederholt über die Wundmale lustig gemacht. Der Gipfel aber sei der Choral „Jerry Eleison“ als verachtungsvolle Veralberung der Anbetung gewesen, sagt Pitts.
Thompson, der auch katholisch ist, findet das nicht. „Ich bin selbst gläubiger Christ“, sagte er, „aber ich kann an der Oper nichts Blasphemisches finden.“ Er war von der Protestwelle überrascht. Es gab schon vor der Sendung mehr als 50.000 Beschwerden. „Die Oper hat praktisch jeden Preis gewonnen, den es für Opern zu gewinnen gab“, rechtfertigte BBC-Fernsehdirektorin Jana Bennett die Ausstrahlung, „und während der 550 Aufführungen auf der Bühne gab es keine Proteste von irgendwelchen Organisationen.“
Die BBC glaubt an eine koordinierte Kampagne, da nur 14 Briefe eingetroffen waren. Der Rest kam per E-Mail oder per Telefon. Dahinter steckt offenbar die Organisation „Christian Voice“, die auch früher schon solche Kampagnen organisiert hat. Vor drei Jahren protestierte sie gegen einen Dokumentarfilm, in dem behauptet wurde, dass Maria von einem römischen Soldaten vergewaltigt und geschwängert worden sei. Voriges Jahr verhinderte sie die Ausstrahlung des Cartoons „Popetown“, in dem der Papst auf einem Steckenpferd herumhüpft, umgeben von heimtückischen Kardinälen.
„Christian Voice“ hatte Bennetts Privatadresse im Internet veröffentlicht, sie jedoch wieder gelöscht, nachdem die Fernsehdirektorin derart bedroht wurde, dass sie vorübergehend unter Polizeischutz stand. Die Antiabtreibungsorganisation „UK Lifeleague“ will dagegen weiter die Adresse von BBC-Generaldirektor Thompson veröffentlichen. Eine Medienfirma stellte fest, dass die Springer-Oper 8.000 derbe Flüche enthalte. Stewart Lee, einer der Co-Autoren, sagte jedoch, es gebe lediglich 451 Flüche. „Die Leute haben jeden Fluch einfach mit der Zahl derjenigen multipliziert, die im Chor singen“, sagte er. Hauptdarsteller David Soul, der in den Siebzigern eine der beiden Hauptrollen in der TV-Serie „Starsky und Hutch“ spielte, sagte: „Wenn es dabei nur um Blasphemie und Schmutz ginge, wäre die Oper nie gesendet worden.“ Im Übrigen habe jeder Fernseher einen Ausschaltknopf.
Die Abtreibungsgegner drohen außerdem mit rechtlichen Schritten gegen die BBC. Die Blasphemiegesetze gelten in Großbritannien nur für christliche Religionen. Die Frage, ob die BBC eine solche Oper über Mohammed, den islamischen Propheten, ausgestrahlt hätte, wollte beim Sender niemand beantworten. Das Unternehmen, das für die Bühnenshow verantwortlich ist, versucht nun, den Medienrummel für sich zu nutzen: Wer eine Bibel zur Show ins Theater mitbringt, muss ab sofort nur 10 Pfund Eintritt zahlen.