: Keine „zwangsweise Magenspülung“
Rechtsfragen bei der Brechmittelvergabe: Das BVerfG hat schon 2001 angemahnt, „im Hinblick auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit“ seien „verfassungsrechtlich relevante Fragen zu klären“. Die Bremer Theorie trennte sauber zwischen der Gewalt der Polizei und dem ärztlichen Vollzugs
„Eine zwangsweise Magenspülung erfolgt nicht“, so schlicht steht es in der „Dienstanweisung über die Durchführung von Exkorpationen“ (Brechmittelvergabe), die der Leiter des Gerichtsmedizinischen Institutes am St.-Jürgen-Krankenhaus, Michael Birkholz, am 1.3.2001 unterschrieben hat. Das Institut von Birkholz hat vom Bremer Innensenator den Auftrag „Ärztlicher Beweissicherungsdienst“ übertragen bekommen, zu dem auch die Brechmittelvergabe für mutmaßliche Drogendealer gehört. Diese Dienstanweisung sei eindeutig, das, was in der Nacht zum 27.12.2004 im Abschiebegewahrsam passiert ist, hätte nicht passieren dürfen, erklärte der Justiz-Staatsrat Ulrich Mäurer am 12. Januar 2005. Die Staatsanwaltschaft jedenfalls habe von dieser Praxis nichts gewusst. Ob es Fälle vergleichbarer Gewaltanwendung im vergangenen Jahr gegeben hat und wie viele, wisse er nicht.
Vier möglicherweise, sagt der Gerichtsmediziner Birkholz, genau sei das aber nicht bekannt, denn seine Ärzte berichten nur über die medizinischen Maßnahmen. Mit der Gewalt der Polizeibeamten, die dabei sind und möglicherweise einen sich wehrenden Afrikaner im Polizeigewahrsam „fixieren“, hat der Arzt nichts zu tun. „Der Arzt übt keinerlei Zwang aus“, steht daher auch in seiner „Dienstanweisung“ über Exkorporationen.
Sinn des Papiers aus dem Jahre 2001 sei es gewesen, die Ärzte zu schützen und ihnen die Möglichkeit zu geben, in ihrer ärztlichen Verantwortung die Grenzen zu setzen. Wenn die Polizei ein „Weitermachen“ fordere, das der Arzt nicht verantworten können, solle er sich auf die Dienstanweisung des Chefs stützen können, erläutert Birkholz .
Keineswegs sollte die Dienstanweisung den Arzt einschränken. Der Arztberuf sein ein freier Beruf, wenn der Arzt meint, es verantworten zu könne, eine „zwangsweise Magenspülung“ vorzunehmen, dann tue er das – auf eigenes Risiko, stellte Birkholz gegenüber der taz klar.
Dass die zwangsweise „Verabreichung“ von Brechmitteln „grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnet“, habe das Bundesverfassungsgericht 1999 festgestellt, hat Innensenator Thomas Röwekamp (CDU) gegenüber der Innendeputation am 12.1.2005 behauptet. Was in dem schriftlichen Bericht an die Bürgerschaftsabgeordneten nicht erwähnt wird: Das Bundesverfassungsgericht hat sich nach dem Hamburger Fall am 13.12.2001 ausdrücklich dagegen gewehrt, dass sein Beschluss von 1999 in der Öffentlichkeit so interpretiert wird. Das Gericht sah sich – ungewöhnlich genug – zu einer Pressemitteilung zur Interpretation seines Urteils genötigt. Da heißt es: „In verschiedenen Presseberichten der letzten Tage wird der Eindruck erweckt, das Bundesverfassungsgericht habe über die Frage, ob die zwangsweise Verabreichung so genannter Brechmittel mit der Verfassung vereinbar ist, bereits entschieden. Dieser Eindruck ist nicht richtig.“ Zur Klärung der Rechtmäßigkeit der Brechmittelvergabe seien „im Hinblick auf das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verfassungsrechtlich relevante, insbesondere medizinische Fragen zu klären“, das habe das BVerfG nicht getan. In aller Deutlichkeit setzt das BVerfG hinzu: „Eine solche Klärung wäre jedoch durch die Fachgerichte möglich gewesen (...), um eine mögliche Verkennung der Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit zu verhindern.“
Auch die Entscheidungen von Bremer Gerichten, auf die sich der Innensenator bezogen hat, hätten immer nur in Nebenaspekten die grundrechtliche Problematik der Brechmittelvergabe berührt, kritisiert der Bremer Kriminologe Helmut Pollähne. Die hanseatischen Oberlandesrichter hätten sich „einer Auseinandersetzung mit den gegenteiligen kollegialen Ansichten anderer Gerichte und der einschlägigen Fachliteratur wohlweislich völlig verweigert.“ Die einzige solide juristische Grundlage sei demnach die Entscheidung des Frankfurter Oberlandesgerichtes, die der Bremer Innensenator abtut: „Das Urteil hat für Bremen keine Relevanz.“
Das OLG Frankfurt hatte am 11.10.96 klar formuliert: „Der Einsatz von Brechmitteln bei Ermittlungen in Strafverfahren verstößt gegen das Persönlichkeitsrecht und die Menschenwürde des Beschuldigten und stellt einen unzulässigen Eingriff in dessen körperliche Unversehrtheit dar. Beweise, die auf diesem Wege gewonnen sind, dürfen nicht verwertet werden.“
Insbesondere, so das Gericht, rechtfertige auch § 81a StPO (körperliche Untersuchung des Beschuldigten) nicht die gewaltsame Beibringung von Brechmitteln. „Hierbei handelt es sich nämlich nicht um einen Eingriff zu Untersuchungszwecken, sondern zum Aufsuchen und Sicherstellen von Fremdkörpern. Der Beschuldigte im Strafverfahren müsse weiter Subjekt bleiben und dürfe nicht zum Objekt degradiert werden.“ Es gelte der Grundsatz der Passivität der Mitwirkung des Beschuldigten, der nicht zu aktiver Mitwirkung gezwungen werden dürfe, was hier aber geschehe. „In der Verabreichung von Brechmitteln liegt daher ein unerlaubter Eingriff in die körperliche Unversehrtheit der Beschuldigten und zugleich liegt ein Verstoß gegen das Gebot der Achtung der Menschenwürde und der allgemeinen Persönlichkeitsrechte vor.“
Klaus Wolschner