Befriedung der Kampfzone

PERFORMANCE Stell dir vor, es wär’ Ballerspiel und die Blauhelme greifen ein: Esther Steinbrecher und Oliver Behnecke testen das mit „Wir entern!“ – und erhalten den Bremer Autoren- und Produzentenpreis

Der Bremer Autoren- und Produzentenpreis wird seit 2004 jährlich von der Schwankhalle Bremen verliehen. Er fördert Künstler, die interdisziplinäre Arbeits- und Produktionsweisen– gerne jenseits etablierter Kunstsparten – für performing-arts-Projekte erforschen und umsetzen. Die bisherigen Preisträger:

■ 2004 Maren Strack und post theater (New York, Berlin, Tokio): Figure 8 Race

■ 2005 - gold extra (Linz): Meet Jane Edgar

■ 2006 - Ulf Aminde (Berlin): Straße ist Straße und keine Konzeptkunst

■ 2007 - Lunatiks (Berlin): Performing Crime – Archiv des Verbrechens

■ 2008 - Till Müller-Klug und Bernadette La Hengst: Der innere Innenminister

Alle ausgezeichneten Projekte konnten realisiert werden.

VON BENNO SCHIRRMEISTER

„Wir entern!“ heißt das Projekt – und es zielt voll ins Herz der Debatte. In der sind bislang vertreten die passionierten Verteidiger und semi-professionellen Gamer auf der einen, die eisenharten Verbots-Forderer auf der anderen Seite. So plädiert seit 2006 fast monatlich – und gern im Duett mit dem hannoverschen Kriminologen und Ex-Justizminister Christian Pfeiffer (SPD) – Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) für die Abschaffung von allem, was er unter dem Label Killerspiele rubriziert, Ego-, Team- und Taktik-Shooter, mit erhöhter Frequenz nach Amokläufen, versteht sich. Ebenso zuverlässig jaulen Communities, Nationalmannschaften und Spiel-Industrie dann auf. Eine gemeinsame Sprache findet man nie. Die Gegensätze bleiben unversöhnlich.

Genau zwischen diese beiden Fronten aber begibt sich „Wir entern!“ von dem Bremer Kulturmanager Oliver Behnecke und der Berliner Regisseurin Esther Steinbrecher. Denn, das ist ihre Vorüberlegung, „selbst wenn die Gleichung Killerspiel = Amokpotenzial aufgehen sollte“, dann müsste man dem Massenphänomen doch „mit einfallsreicheren Mitteln entgegentreten“ können. Was nahe liegt, weil beide in Gießen angewandte Theaterwissenschaften studiert haben. Was aber auch pragmatisch sinnvoll schiene: Schließlich sichern Millionen SpielerInnen einigen tausend Programm-Entwicklern die Arbeitsplätze, und es ist nicht ganz klar, wer die alle kontrollieren soll.

Steinbrecher und Behnecke planen daher, ultrakurz zusammengefasst, in die Welt der Daddler einzudringen und die immerwährende Kampfzone der E-Sportler zu befrieden. Wenigstens für den einen utopischen Moment einer abendfüllenden Performance. Dieses Konzept hat jetzt den sechsten Bremer Autoren- und Produzentenpreis erhalten.

Konzept, jawohl, also jetzt nicht gleich nach Tickethotline und Uraufführungsterminen fragen. Die liegen in weiter Ferne:. „Als nächstes“, sagt Steinbrecher, „stürzen wir uns in die Recherche.“ Damit ist schon mal klar, wo „Wir entern!“ bislang steht – nämlich ganz am Anfang. Das entspricht den durchaus eigenwilligen Vergabekriterien, und das ist kein Geheimnis, das ausgeplaudert würde, auch wenn es stimmt, dass Jurymitglied Benno Schirrmeister identisch ist mit dem Redakteur, der diese Zeilen drechselt. Dass der Preis nur an Unfertiges verliehen wird, Ideen, Skizzen und Entwürfe, steht ausdrücklich in der Ausschreibung, genauso wie die Höhe des Preisgelds. Früher waren es 5.000 Euro, diesmal sind es, dank der Karin und Uwe Hollweg-Stiftung, 15.000 Euro. Was viel Geld ist im Vergleich zu anderen Theater- und Autorenpreisen. Im Laufe von sechs Jahren ist er bereits nach Linz, Tokyo, New York und mehrfach nach Berlin gegangen – und jetzt erstmals auch nach Bremen. Fördern soll er Projekte, die mit herkömmlichen Gattungsbegriffen nicht zu fassen sind, gesellschaftliche Relevanz haben – und den Mut, Grenzen zu überschreiten.

Einfach unbewaffnet reingehen ins Totschieß-Szenario, das wäre sinnlos

„Wir sind keine Player“, sagt Steinbrecher, und: „Diese Welt ist uns fremd“, formulieren beide im Konzept, auch wenn Behneckes kleiner Bruder ihn vor Jahren einen Nachmittag lang in die Kunst des Ballerns eingeführt hat. „Seit damals habe ich im Hinterkopf, daraus etwas Theatrales zu machen“, sagt er. Der Auslöser für „Wir entern!“ war aber der Amoklauf von Winnenden, den Schünemann – fast schon zynisch – dahingehend kommentierte, dass er jetzt hoffe, im Bundesrat die nötige Mehrheit für seine Verbotsforderung zu finden. „Dieses Unkreative und Reflexhafte“, sagt Behnecke, „das regt mich einfach auf.“

Das Autoren-Duo muss deshalb Rat suchen in der Szene. Denn klar, einfach unbewaffnet reingehen ins Totschieß-Szenario, das bliebe unergiebig. Es heißt also Strategien entwickeln, um den eigenen Avatar in den Animationen vor unerbittlichen Heckenschützen zu verstecken. Die Recherche-Schritte sind im Web öffentlich zu machen, nachvollziehbar und diskutierbar. Die Idee eines online-Kriegsverbrechertribunals steht auf dem Papier und will verwirklicht werden, erst recht die einer Rekrutierungskampagne in der Community – für Blauhelmsoldaten.

Das ist kein chancenloses Unterfangen: „Ich kann mir schon vorstellen, dass sie da Unterstützer finden“, sagt der Vorstandsvorsitzende des deutschen E-Sportbundes, Frank Sliwka, „gerade vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion.“ Dass „Wir entern!“ die nicht beenden wird, davon ist auszugehen. Aber dass es sie erweitert, ist schon jetzt klar: Am Ende soll, als Abend-Performance, nicht nur eine große Lan-Party stehen, sondern zugleich soll, offline, eine fiktive UN-Vollversammlung über Interventions-Möglichkeiten, über Erfolg und Misserfolg der Friedenseinsätze beraten: Dabei wird, ganz plötzlich, die Schwelle von virtuellem und physischem Kampfgeschehen an einer unerwarteten, oder doch zumindest in der Diskussion verdrängten Stelle durchlässig werden. Denn die Konfrontation mit dem Weltparlament erinnert daran, dass auch die Landschaften der Taktik-Shooter nicht aus dem Nichts geboren sind. Sie sind Abbildungen, inspiriert von realen Orten. Von Kriegsschauplätzen. Was vielleicht zeigt, so ließe sich denken, dass die „Verbieten!“-Rufe nur ein schwaches Echo sind – ein Echo politischer Hilflosigkeit angesichts des Tötens.