: Die Mission der Stimmen
Sven Holm inszeniert Opern, bei denen Sänger und Zuhörer über die Grenzen des Gewohnten gebracht werden. Da ist es nur folgerichtig, dass die Oper auch mal zum Raumschiff wird. In den Sophiensælen hat heute „Kommander Kobayashi“ Premiere
VON KATRIN BETTINA MÜLLER
Eine Oper allein reicht wohl nicht. Gleich eine ganze Staffel muss es sein: „Kommander Kobayashi“ tritt an, in einer Opern-Saga die Welt des Singbaren neu zu begründen. Die erste Staffel, ab heute in den Sophiensælen, besteht aus vier Pilotfolgen und zwei Kurzopern, macht zusammen sechs Uraufführungen zeitgenössischer Musik! Aber nichts ist hier so schwer wie die Opern aus Wagners Ring.
Sven Holm ist nicht nur Regisseur des Projekts, sondern hat auch zusammen mit Vicente Larranaga (musikalische Leitung) und Sebastian Bark (Dramaturgie) die Gruppe Novoflot gegründet. Klickt man ihre Website an, startet zuerst eine Rakete, dann kommt die Seite mit ihren Opernprojekten. „Kommander Kobayashi“ ist die erste Komposition, die im Auftrag von Novoflot entstand: Das Konzept der Saga, die Figuren und einige Sänger werden den Komponisten vorgegeben. Fast wie in den Fernsehserien, die das neue Opernformat zitiert. „Hierarchien umdrehen“, nennt Sven Holm das.
„Mich interessiert eine multiperspektivische Sicht auf Musik, unterschiedliche Blicke auf die Gattung Oper zu werfen“, sagt Sven Holm. In seiner Inszenierung der „Antigone“, einer Barockoper von Tommaso Traetto, wollte er wissen: „Kann diese Figur auch in der Gegenwart noch einen Standpunkt finden?“ Er blendete literaturkritische Texte über den Mythos der Antigone ein, brach den Bewegungsgestus der Opernsänger mit der Körpersprache von Pophelden, ließ die Sänger in ihren Muttersprache über ihre Rollen streiten. Der Gesang kam über diese Verfremdungen nicht zu kurz, sodass selbst die Kritiker, denen Holms Stil nicht passte, in ihren Verrissen die musikalische Qualität lobten.
Die ist auch für Sven Holm entscheidend. Auch wenn seine Inszenierungen sehr lustig sind, auch wenn überall Elemente des Zeichentrickfilms genutzt werden, Musik und Gesang werden nie an die Karikatur verraten. Holm ist ausgebildeter Musiker, er war Pianist, hauptsächlich für Jazz, bevor er sich für die Oper interessierte. „Lange war mir Oper wahnsinnig fremd, diese absurde Werktreue und mangelnde Alltäglichkeit.“ Erst spät sei er dazugekommen, mit 24 erst habe er ein Studium der Opernregie an der Hanns-Eisler-Schule begonnen. Na ja, besonders spät ist das ja nicht. Zumal es von da an in schnellen Schritten weiterging.
Schon während des Studiums inszenierte Holm am Stadttheater Annaberg Schauspiel und Opern. Bis er sich mit dem Intendanten stritt, der um sein Publikum fürchtete. „Nettes für Abonnenten, das kann ich nicht“, zieht er ein Resümee. 1999 begann er sein erstes freies Opernprojekt, schon damals mit Vicente Larranaga. „Wir haben die gleichen Ideen über Tempi, wie man mit Emotion und Erzählung umgeht.“ Die Konkurrenz zwischen musikalischer Leitung und Regie fehlt deshalb bei Novoflot. Dritter im „Dreamteam“ wurde Sebastian Bark als Dramaturg, auch Mitglied von She She Pop und somit performanceerfahren.
Performance ist überhaupt einer der Schlüssel, mit denen Novoflot den geschlossenen Werkcharakter der Oper knacken will. Weit öffnet sich ihr der letzte Teil von „Kommander Kobayashi“, den Jennifer Walshe, junge Komponistin aus Dublin und selbst Performancekünstlerin, entwickelt hat. „Den Sängern was vor den Latz knallen, was für sie neu ist, das birgt ein größeres Entwicklungspotenzial als bekannte Arien“, glaubt Holm. Bei Jennifer Walshe werden die Stimmen zu Tierstimmen verfremdet. Im Orchester wird neben Schlagzeug, Klavier und Streichinstrumenten mit Bügeleisen, Seifenblasen und Plastiktüten gearbeitet. Manchmal bürstet ein Musiker vor dem Mikrofon das Fell eines Mammuts. Das ist vielleicht lustiger anzusehen als zu hören. Aber es werden auch die Sinne aus ihrer Ordnung gebracht.
Sven Holm selbst sieht sich gerne fremdsprachige Theateraufführungen an. Um herauszufinden, wie sich der emotionale Kern einer Szene mitteilt, wenn man die Sprache nicht versteht. Das kommt seinen Inszenierungen zugute. Zudem schafft er sich durch die Vielzahl von Spielebenen, durch Zitate, durch das Andocken an populäre Formate, einen Freiraum, in dem er Gesang einfach Gesang sein lassen kann, um den Stillstand der Zeit in der Arie auszukosten und es nicht zu übersetzen.
In „Kommander Kobayashi“ ist die Gattung Oper zu einem Raumschiff geworden. Die „Hermenauten“, wie die Bordbesatzung heißt, haben unentwegt mit der Ausdeutung des Willens des Kommanders zu tun. Der wird gesungen von dem japanischen Tenor Soichi Kobayashi: Von ihm stammt nicht nur der Name, sondern auch die erste Inspiration. Als Sven Holm 1999 das erste Mal mit diesem Sänger arbeitete, konnte der, frisch aus Japan in Berlin eingetroffen, noch kaum Deutsch. Wie er das eigene Missverstehen einbrachte, wurde zu einem spielerischen Element. Denn bei Novoflot geht es auch immer darum, Verstehen und Nicht-Verstehen von Musik ins Verhältnis zu setzen.
Nichtopernkenner, die eher Tanz- und Theaterbesucher sind, haben es hier manchmal leichter, den spielerischen Aufbruch der Formen zu genießen. Dafür entgeht ihnen eine gewisse Freude von Novoflot, gegen die Grenzen der Glaubensgemeinschaften in der Musikszene anzurennen. Die erste Staffel von „Kommander Kobayashi“, die im Rahmen des Ultra Schall Festivals für Neue Musik aufgeführt wird, begeht da einige Verstöße, die Sven Holm sichtlich freuen. Wenn er sich vorstellt, wie es Puristen der Neuen Musik gruselt in der von Ricardas Kabelis (aus Litauen) komponierten Episode, die nah an Marschmusik angelegt ist. Oder wie Fans von Helmut Oehring, dem bekanntesten Komponisten an Bord des Projekts, bei Jennifer Walshe zu zappeln anfangen. Aber gerade diese verschiedenen Szenen zusammenzuführen, ist seine Mission.
„Kommander Kobayashi“, 21.–23. 1., 28.–30. 1., 20 Uhr, Sophiensæle