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Archiv-Artikel

In alter Form

ZUM GEBURTSTAG Im Plenarsaal der Hamburgischen Bürgerschaft spielen Schauspieler die bewegte Sitzung der Abstimmung übers Grundgesetz vor 60 Jahren nach. Und feiern es, wie es einmal war

Zu einem Eklat samt Handgreiflichkeiten kommt es erst in der Flaggenfrage

Geburtstage sind eine Plage, wie nun auch das Grundgesetz erfahren durfte. Von Gratulanten aller Art musste es sich abklopfen lassen und bekam wieder und wieder in gönnerhaftem Ton den Kalauer zu hören, in was für guter Verfassung es doch sei, trotz seines Alters. Im Plenarsaal der Hamburgischen Bürgerschaft wird nun das Grundgesetz auf eine Weise gewürdigt, die es mit seinem 60. Jubiläum versöhnen könnte. Nicht von den derzeitigen Abgeordneten, sondern von einer Truppe freier Schauspieler, die eine Bürgerschaftssitzung nachspielen: die Debatte und Abstimmung über das Grundgesetz vom 18. Mai 1949.

Das Präsidium, das Rednerpult und die erste Reihe des Saals haben die Schauspieler als Hamburger Polit-Größen der Nachkriegszeit besetzt. Den Rest des Saals füllt das Publikum – das mindestens so alt ist wie der verhandelte Gegenstand. Das Grundgesetz ist also unter seinesgleichen. Man könnte auch sagen, das Publikum sei gekommen, um mit dem Grundgesetz sich selbst zu feiern, aber das soll nichts heißen. Schön am Abend ist, dass im Crashkurs das Grundgesetz erläutert, seine historischen Hintergründe offen gelegt und Bezüge auf die Gegenwart forciert werden.

Glänzend verteidigt samt altem Asylrecht wird das Grundgesetz vom damaligen Bürgermeisters Max Brauer und Adolph Schönfelder (beide SPD – ach, die große Zeit), der als Vizepräsident des Parlamentarischen Rates an dessen Entstehung beteiligt war. Von der CDU kommen Töne der Anerkennung aber auch des Vorbehalts. Die Abschaffung der Todesstrafe gehöre ins Strafgesetz, nicht ins Grundgesetz, moniert etwa Paul de Chapeaurouge. Der FDP fällt zum Grundgesetz Goethe ein – und dass sie im Parlamentarischen Rat unterrepräsentiert gewesen sei. Und die KPD lehnt die Sache ab, weil sie darin einen Kniefall vor den Westmächten erkennt, die Annahme von deren Kolonialbedingungen.

Der KPD-Abgeordnete spielt damit den Prügelknaben. Brauer haut am dollsten drauf: Dem könne man nicht mit Vernunftgründen kommen, da er einer Ersatzreligion anhänge. Zu einem Eklat samt Handgreiflichkeiten kommt es aber erst in der Flaggenfrage. Die gärte schon, als Chapeaurouge bedauerte, dass sich die SPD geweigert habe, das christliche Kreuz auf die schwarz-rot-goldene Flagge zu nehmen. Als dann Fritz Becker von der Deutschen Partei die Flagge mit einem Goebbelswort als Schwarz-Rot-Geil, äh, Schwarz-Rot-Gelb – für Senf – verspottet, wird er als „Nazilümmel“ unsanft aus dem Saal befördert.

Am Ende der Sitzung stimmt das mit Namenskarten ausgestattete Publikum auf den Sitzen der Abgeordneten ab. Einer nach dem anderen wird aufgerufen und gibt sein Ja zum Grundgesetz ab. Ja, Ja, Ja. Viele Stimmen klingen brüchig, müde, hohl. Aber das soll jetzt wieder nichts heißen. MAXIMILIAN PROBST

3. Juni, 19 Uhr; 7. Juni, 11 Uhr