: Mehr Parlamentarierinnen gibt es nirgendwo sonst
FRAUENPOWER Im Völkermord von Ruanda waren die Täter meist Männer, nun sollen Frauen für den friedlichen Wiederaufbau sorgen
AUS KIGALI MARC ENGELHARDT
Fünfzehn Jahre nach dem Völkermord in Ruanda mit mehr als 800.000 Opfern sind die Fassaden des ruandischen Parlament immer noch von Schüssen vernarbt. Die damaligen Rebellen, die heute die Regierung stellen, tun sich augenscheinlich schwer damit, das an die Kämpfe der jüngeren Vergangenheit erinnernde Mahnmal zu renovieren. Während nicht weit entfernt chrom- und glasbesetzte Ministerien glitzern, wirkt das Parlament auf einem Hügel über Kigalis wachsendem Häusermeer verstaubt und altbacken.
Ein Eindruck, wie er falscher nicht sein könnte, zumindest wenn es um die Repräsentation von Frauen geht. Bei der Parlamentswahl vor einem Jahr schickten die Wählerinnen und Wähler vor allem sie ins Unterhaus. 44 der 80 Abgeordneten sind weiblich – 24 Sitze sind verfassungsgemäß Frauen vorbehalten, die restlichen 20 setzten sich gegen die männliche Konkurrenz durch. „Wir sind Weltspitze“, freut sich Agnes Mukabaranga, die in der ersten Legislaturperiode nach dem Genozid Abgeordnete war und jetzt Senatorin im Oberhaus ist. Frauen, sagt die 46-jährige Juristin, seien friedfertig, kompromissbereit, versöhnlich – genau das, was die Wähler sich nach dem Völkermord von der Politik erhoffen. „Frauen sind traditionell in der Familie diejenigen, die Gäste empfangen, wir nennen das Nyambinga, das bedeutet etwa: Brücke zur Gesellschaft.“
Trotz der Anleihen in den Traditionen des Landes ist Agnes Mukabaranga, Mutter von vier Kindern, eine ruandische Karrierefrau – eher aus Zufall denn geplant, sagt sie selbst. „Nach dem Genozid standen wir Frauen vor Herausforderungen, die kaum lösbar schienen“, so Mukabaranga. „Die Männer waren tot, verhaftet oder auf der Flucht, im Genozid waren Männer die Haupttäter und -opfer.“ Der Massenmord der radikalen Hutu-Milizen an den Tutsi und moderaten Hutu traf ganze Generationen. „Wir Frauen mussten einfach die Last für Gerechtigkeit, für Wiederaufbau und für eine neue Politik im Land schultern“, erklärt die Senatorin. Mehrere ihrer Brüder sind ermordet worden, auch deshalb setzt sie sich für eine rückhaltlose Aufklärung des Genozids ein. Das funktioniere nicht immer, sagt sie. „Wir haben viel geschafft, aber immer noch einen langen Weg vor uns.“
Unterstützung haben die Parlamentarierinnen von ganz oben. Präsident Paul Kagame, der die Leitlinien für jede politische Entscheidung vorgibt, hat etliche Frauen auf bedeutende Posten befördert – viele von ihnen hatten schon in der Rebellenbewegung wichtige Posten inne. Auch ein im vergangenen Jahr beschlossenes Gesetz gegen sexuelle Gewalt hat seine Wurzeln aus dieser Zeit: Vergewaltigung wurde innerhalb von Kagames Patriotischer Front (RPF) schwer geahndet.
In der Gesellschaft haben Frauen es immer noch schwer. „Männer glauben von jeher, dass Frauen nur für die Hausarbeit da sind, zum Kochen und für die Kinder“, ärgert sich Beatrice Kayitesi, die auf Kigalis Hauptgeschäftsstraße Bücher verkauft. „Dabei ist es die Frau, die die Familie und ihre Probleme am besten kennt – genauso ist es auch im Großen, im Staat.“
Auf dem Land, wo Männer traditionell die Landbesitzer sind, ändern sich die alten Rollenbilder besonders langsam. Dabei müssen auch hier die Frauen die Folgen der Kämpfe alleine bewältigen, weiß Madeleine Ntagahira, die eine gute Stunde von Kigali entfernt auf einer kleinen Farm lebt. „Manche Witwen hatten zeitweise fünfzehn Kinder zu versorgen, die meisten Waisen von nahen oder entfernten Verwandten.“ Nach 1994 war von ihrer Farm kaum noch etwas übrig. Die drei Kühe, die sie sich inzwischen mit anderen Frauen teilt, hat sie sich durch eisernes Sparen erwirtschaftet. „Wir haben einen Sparklub gegründet, und jede Woche hat jeder von uns 50 Francs eingezahlt“ – umgerechnet etwa 10 Eurocent. Männer, sagt sie, hätten das Geld vermutlich in der Kneipe verprasst. „Es ist gut, wenn wir Frauen die wichtigen Dinge in der Hand haben.“ Doch in den meisten Hütten gehe es noch so traditionell vor wie ehedem: „Da darf die Frau nichts entscheiden, was über die engere Haushaltsführung hinausgeht.“
Solche Attitüden will Senatorin Agnes Mukabaranga durch eigenes Beispiel ändern. Dabei ist ihr klar, dass sie am ehesten die nächste Generation erreicht. Der will sie die Botschaft von Gleichberechtigung mitgeben, zwischen Mann und Frau und zwischen den Bevölkerungsgruppen im Land. „Meinen Kindern sage ich: Seht nach vorn und sorgt dafür, dass so etwas wie 1994 nie wieder passiert!“