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Archiv-Artikel

Die Nachbarin als Bank

GELD Private Sparklubs in Ägypten verhelfen auch Armen zu Krediten

Es gibt sogar Bankangestellte, die ihre Ersparnisse lieber bei ihrem Nachbarn anlegen als bei der Bank

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Mein Erspartes auf die Bank bringen?“ Die ägyptische Putzfrau Fatima schüttelt entsetzt den Kopf. „Bei der Bank, da kenne ich doch niemanden, wie soll ich der denn trauen?“

Wie die meisten Ägypter besitzt Fatima weder ein Sparkonto noch eine Kreditkarte. Und doch hat sie die Möglichkeit, an einen inoffiziellen Kredit zu kommen oder ein bisschen was von ihrem sauer Ersparten zurückzulegen: Wie viele im Land am Nil beteiligt sie sich an einer Gamaiyya, einem informellen Sparklub.

Das System ist relativ einfach. Man tut sich mit einer Gruppe von Freunden, Verwandten, Nachbarn oder Kollegen zusammen. Wenn beispielsweise zehn Teilnehmer jeden Monat 100 ägyptische Pfund einzahlen, kommt monatlich eine Summe von 1.000 Pfund (ca. 130 Euro) zusammen. Derjenige, der den Spartopf gegründet hat, bekommt die Summe im ersten Monat, die anderen folgen in monatlichen Abständen, bis alle zehn Personen jeweils einmal ausgezahlt wurden. Zinsen gibt es nicht. Die gelten strenggläubigen Muslimen ohnehin als haram, als islamisch inkorrekt.

Für die Ersten in der Gamaiyya-Kette kommt das System einem Kredit gleich, für die weiter hinten ist es eine Methode, Geld für einen späteren Zeitpunkt zur Seite zu legen. Fatima zum Beispiel hat eine Gamaiyya gegründet, weil sie Geld für die Aussteuer ihrer Tochter brauchte. „Das war wie ein Kredit, den ich jetzt über die nächsten Monate abbezahle“, erklärt sie. Bei einer Bank würde die Putzfrau, die als Sicherheit lediglich die Hühner auf ihrem Dach in einem Armenviertel von Kairo vorweisen könnte, niemals einen Kredit bekommen. Der Letzte bei der Auszahlung ist übrigens Fatmas zukünftiger Schwiegersohn. Der kann mit dem Geld dann die Wohnung für das Brautpaar anzahlen.

Mit diesem informellen System halten sich die meisten Ägypter über Wasser. In einem Land, in dem vier von zehn Ägyptern mit etwas mehr als 1 Euro am Tag auskommen müssen, ist die Gamaiyya ein Überlebensinstrument. Aber auch besser gestellte Ägypter nutzen es. „Meine Mutter hat immer an einer Gamaiyya teilgenommen und den Zeitpunkt ihrer Auszahlung stets auf den Schulanfang gelegt“, erzählt der Besitzer einer privaten Fernsehproduktionsfirma, ein mehrfacher Millionär. „So war sie immer sicher, das Schulgeld und die Ausgaben für Schuluniform und Schulsachen bezahlen zu können.“

Es gibt sogar Bankangestellte, die ihre Ersparnisse lieber bei ihrem Nachbarn als bei ihrem Arbeitgeber anlegen. Anders als bei einer Bank basieren die Sparklubs auf dem Prinzip der persönlichen Bekanntschaft. Man geht eine Gamaiyya in der Regel nur mit Familienmitgliedern, Freunden, Nachbarn oder Kollegen ein. Dabei ist der persönliche Ruf der einzige, aber höchst effektive Antrieb für die Zahlungsmoral. Wenn jemand nicht zahlt, wird er von Nachbarn oder Kollegen schlecht angesehen. Daher kommt das so gut wie nie vor. „Wenn jemand aufgrund besonderer Umstände nicht zahlen kann, dann wird versucht, dass ein anderer in der Kette einspringt“, erklärt Fatima. Wenn das nicht klappt, dann ist derjenige informell haftbar, der den Teilnehmer für die Gamaiyya vorgeschlagen hat.

Seit gut 15 Jahren organisiert Fatima Sparklubs. Nur ein einziges Mal ist es passiert, dass ein Teilnehmer ernsthaft abspringen wollte. „Ein Hausbesuch meinerseits und eine lautstarke Auseinandersetzung vor dessen Familie haben das Problem gelöst“, grinst Fatima. „Ich selbst würde wohl eher meinen goldenen Ehering versetzen, als mich der Schande auzusetzen, nicht zu zahlen.“

Bis zu 40 Prozent der ägyptischen Wirtschaft findet im informellen Sektor statt“, sagt Ahmad al-Naggar, Wirtschaftswissenschaftler beim Al-Ahram-Zentrum für Strategische Studien in Kairo. Seien es nun Sparklubs oder nicht registrierte kleine Projekte, vom Imbisswagen auf der Straße bis zur kleinen Autowerkstatt. Dieser Teil der Wirtschaft leide weniger unter der globalen Wirtschaftskrise. Denn derartige Projekte seien nicht von Bankkrediten abhängig, da sie sich alle selbst finanzierten. Wobei das Wort „Finanzkrise“ auch im formellen Wirtschaftssektor in Ägypten ein Fremdwort ist.

„Die Banken sind bei der Kreditvergabe derartig restriktiv, dass sie schon seit Jahren nicht wissen, wohin mit ihrem Geld“, erläutert Naggar. Kleine und mittlere Kredite haben die ägyptischen Banken noch nie vergeben. Die kleinen Leute spielen im ägyptischen Finanzgeschäft keine Rolle, obwohl ihre Zahlungsmoral extrem hoch ist, wenn sie denn mal einen Kredit bekommen. „Schulden schaden tagsüber deinem Ruf und nachts deinem Schlaf“, lautet ein ägyptisches Sprichwort. Mit der Zahlungsmoral der großen Investoren steht es so schlecht, dass die Banken kein Risiko mehr eingehen. Das Ergebnis: Die Zentralbank weist für letztes Jahr bei den ägyptischen Banken eine Liquidität von umgerechnet 66 Milliarden Euros aus. „Wenn es jetzt einen Visionär gäbe, der diese Liquidität nutzen würde und im großen Stil Kleinkredite an die vielen potenziellen Kleinunternehmer vergäbe und sie so ins System integrieren würde, dann wäre Ägypten einer der großen Gewinner der globalen Wirtschaftskrise“, glaubt Naggar.

Lautes Hupen dringt in sein Büro in Kairos Zentrum. Draußen versuchen sich die Autos zwischen den Dutzenden Straßenhändlern einen Weg zu bahnen. In den Autowerkstätten hinter dem Büro wird laut gehämmert. Naggar lehnt sich resigniert zurück. „Das Problem ist“, sagt er, „dass es hier keinen Visionär gibt, der dieses enorme Potenzial zum Leben erweckt.“