: Die drei Geister
Morgen beginnen die NBA-Finals. Doch was der Abschluss und Höhepunkt einer langen Saison werden soll, droht von Abwesenden bestimmt zu werden. Wie Geister schweben sie über dem Aufeinandertreffen der Los Angeles Lakers und Orlando Magic: LeBron James, Jameer Nelson – und sogar ein gewisser Shaquille O’Neal.
Ohne James, den überragenden Spieler der Saison, fehlt den Endspielen der von den PR-Strategen der NBA systematisch aufgebaute Showdown. Lakers-Star Kobe Bryant kann nun zwar den Titel gewinnen, aber nicht im direkten Vergleich beweisen, dass er doch der bessere Spieler ist. Ohne ihr Aushängeschild auf dem Platz, ohne die finale Machtprobe der beiden Alphatiere droht der Liga nun ein Einbruch der TV-Quoten. Währenddessen wird in den Medien angeregt darüber diskutiert, ob der mit seinen Cleveland Cavaliers im Halbfinale gescheiterte James sich nun frustriert einen neuen Klub suchen wird, um endlich den Titel zu gewinnen. Oder ob er erst recht bei den Cavaliers bleibt, um zu beweisen, dass er gut genug ist, überall eine Meisterschaft zu gewinnen – selbst in Cleveland, wo sie seit 1964 auf einen großen Titel in NBA, NFL, MLB oder NHL warten.
In Anbetracht dieses Marketing-Dilemmas werden nun andere Subplots mediengerecht hochgejazzt. So kann Lakers-Coach Phil Jackson mit einer zehnten Meisterschaft alleiniger Rekordhalter werden und würde dann wohl in Rente gehen. Ja selbst ein Shaquille O’Neal wird wieder ausgegraben: der stapft im Spätherbst seiner Karriere zwar nur mehr auf wackligen Knien für Phoenix durch die Liga, aber liegt nichtsdestrotrotz wie ein Schatten über diesen Finalspielen. Denn als Orlando zum letzten und bis jetzt einzigen Mal so weit kam, im Jahr 1995, hieß der Center O’Neal. Der stand damals in der Blüte seiner Jugend, war trotzdem chancenlos gegen die Houston Rockets um den legendären Hakeem Olajuwon, verließ nur ein Jahr später Orlando, stürzte die Region in tiefe Depression und den Klub in die zwischenzeitliche Mittelmäßigkeit. O’Neal aber fand sein Glück in Los Angeles und wurde dort drei Mal Meister – an seiner Seite ein junger Kobe Bryant. Der will und muss nun unbedingt seinen ersten Titel gewinnen ohne O’Neal, mit dem ihn eine herzliche Abneigung verbindet.
Der dritte Geist, der diese Finals heimsucht, heißt Jameer Nelson – und könnte sich demnächst womöglich materialisieren. Nelson war bis zum Februar der Aufbauspieler der Magic, als er sich eine schwere Schulterverletzung zuzog und operiert werden musste. Der 27-Jährige hatte bis dahin eine überragende Saison gespielt, war erstmals zum All-Star gewählt worden und glänzte vor allem in den beiden Saisonspielen gegen die Lakers. Beide Begegnungen hatten die Magic gewonnen, aber nun, ohne ihren flinken Point Guard, ist das Team aus Orlando wieder Außenseiter.
Nun meldet die Lokalpresse in Florida, dass Nelson wieder trainiert und seine Genesung erstaunlich flott voranschreitet. Die Ärzte könnten schon bald grünes Licht geben, aber der Verein ist gar nicht so begeistert. Schließlich läuft es bei den Magic momentan unglaublich gut. Beim Halbfinalerfolg gegen LeBron James und die Cavaliers präsentierte sich das Team als gut geölte Maschine: Unter den Körben dominierte der muskelbepackte Dwight Howard, von außen treffen Rashard Lewis oder Hedo Türkoglu. Eine Rückkehr des Ballverteilers Nelson könnte die so erfolgreiche wie diffizile Balance in der Mannschaft stören. Dass nun spekuliert wird über ein Comeback des Verletzten, darf daher vielleicht als psychologischer Schachzug verstanden werden, um die Lakers zu verunsichern. Jameer Nelson könnte seinem Team als Gespenst vielleicht sogar nützlicher werden als als Aktiver aus dem Platz. THOMAS WINKLER