bücher für randgruppen
: Vogel-Gryff-Tag

„Tätä tätä tätä!“ Die Narren sind los, in Köln, Mainz und Düsseldorf, und es darf gerätselt werden, ob Angela Merkel schließlich dem amerikanischen Präsidenten auch als Pappfigur in den riesigen Papphintern kriechen darf. Da bietet es sich doch an, Alternativen ausfindig zu machen. Eine davon könnte die alte Tradition sein, die alljährlich in Kleinbasel stattfindet und einen Tag lang das Stadtbild beherrscht: Der Vogel-Gryff-Tag. In seinen Ursprüngen reicht er bis ins Mittelalter. Und so wie dieser Greif eigentlich eine Mischung aus Adler und Löwe ist, so bietet auch das vorliegende Werk eine Mischung aus unterschiedlichen Elementen: zwischen zahlreichen schönen Farbfotografien von Armin Roth, die mit ihren bewussten Unschärfen und Fokussierungen etwas von der eigentümlichen Bewegtheit dieses Brauches wiedergeben, und dem holzschnittartigen Text, der jedes auch noch so kleine Detail des Ablaufs minutiös beschreibt. Drei so genannte Ehrengesellschaften, jahrhundertealte Bürgervereinigungen, einst zur Bewachung der Stadtmauern gegründet, stellen sich durch je eine heraldische Figur, genannt Ehrenzeichen, dar. Da ist neben dem genannten Vogel Gryff der Wilde Mann, Wild Maa, der mit einem vorher genau ausgesuchten Tannenbaum inklusive Wurzelwerk am frühen Morgen ein bemanntes Holzfloß besteigt, um wüst tanzend in die Stadt zu kommen. Auf dem Kopf trägt er eine sehr unfröhliche Maske. Seine Choreografie gilt als kompliziert und muss zuvor genauestens einstudiert werden. Zu ihm gesellt sich der „Leu“, eine archaisch anmutende Löwengestalt. Begleitet wird der Umzug der teilweise kiloschweren Kostüme, kräftige Männer stecken darunter, von Trommlern und Pfeifern.

Vom „Ueli“ gibt es gleich dessen vier. Dieser weiß gekleidete Harlekin ist ausgerüstet mit handgefertigter bleicher Wachsmaske und klettert während des Marsches keck auf Gerüsten herum. So sammelt er Geld für die Bedürftigen der Stadt. 1944 wirtschaftete übrigens einer der Uelis auch mal in die eigene Tasche, lässt Autor Daniel Löw wissen. Kleine Anekdoten am Rande lockern nicht nur die Abfolge des streng organisierten Tages auf.

Bei dieser ehrwürdigen Tradition – die älteste Gesellschaft gründete sich 1304 – könnte der Gedanke aufkommen, es handele sich um eine reine Männergesellschaft. Tatsächlich ist dem so. „Solange die Mehrheit der Gesellschaftsbrüder es so wünscht, wird sich das nicht ändern“, so Löw erbarmungslos. Doch er vergisst dabei nicht, einen vorsichtig optimistischen Blick auf die Veränderungen zu werfen. So gehört zu der reglementierten Abfolge der Zeremonien auch ein „Gryffmähli“, ein Essen mit frisch poliertem Tafelschmuck aus Silber, der eigens aus dem Stadtmuseum für diesen Tag geliehen wird. Seit 2001 dürfen daran auch Frauen teilnehmen – nicht etwa am Polieren, sondern am Essen. 1999 schloss sich schließlich eine neu gegründete Gesellschaft an, die den Bären zu ihrer Figur erkor. Der Neugründung geht es um das friedliche Zusammenleben der verschiedenen Kulturen, um Solidarität und Gerechtigkeit – und erstmals sind Frauen und Kinder beteiligt.

Eine Chronologie über die Stadtgeschichte von Basel und ein Glossar zur Erläuterung von schweizerdeutschen Begriffen wie Gutzi und Glöggli findet sich im Anhang des durchaus attraktiv gestalteten Werks. Der höchste Kleinbasler Feiertag ist für den Außenstehenden sicher eine äußerst kryptische, dennoch umso interessantere Angelegenheit. Zur weiteren Veranschaulichung entnimmt man deshalb dem Umschlag die DVD, welche in fünfzehn Minuten den Ablauf des Tages dokumentiert. Nun werden sie lebendig, die ernsten Herren in schwarzen Anzügen à la Magritte, der Löwe, die Uelis und der Wilde Mann. Und tanzen doch irgendwie ganz anders, als man sich das noch vorher bei der Lektüre vorgestellt hat.

WOLFGANG MÜLLER

Daniel Löw: „Vogel Gryff“, 132 Seiten, 90 Farbabbildungen, geb., mit DVD, Christian Merian Verlag, Basel 2004, 48 Euro