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Archiv-Artikel

Einsicht und Notwendigkeit

Überraschung! Der alte Intendant ist doch auch der neue Intendant: Bernd Wilms und Kultursenator Thomas Flierl raufen sich beim Deutschen Theater in Berlin zusammen

Provinzposse?Dieser Vorwurf wurde von Flierl nicht gerade souverän vermieden

Über den eigenen Schatten springen. Sich wieder zusammenraufen. Sich Niederlagen einfach auch mal eingestehen. Und bei alledem bloß aus seinem Herz keine Mördergrube machen! Schließlich muss der Lappen hoch, jeden Abend im Theater, so die stolze, die grausame Regel im Schauspielergewerbe. The show must go on – und muss man dabei auch noch so sehr die Zähne zusammenbeißen.

In Berlin kann man derzeit zwei gestandene Männer bei solchen emotional herausfordernden Manövern beobachten. Der eine, Bernd Wilms, Intendant des Deutschen Theaters in Berlin, wurde bereits mit seinem eigenen Nachfolger konfrontiert. Der Schriftsteller Christoph Hein sollte den Laden übernehmen, das war amtlich, inklusive Pressekonferenz. Irgendwann hat Bernd Wilms auch gesagt, dass er sowieso die Brocken hinschmeißen wolle, angekündigter Personalkürzungen wegen.

Da es sich dann aber sein angekündigter Nachfolger noch einmal anders überlegt hat, da darüber hinaus sein Dienstherr keinen besseren Kandidaten gefunden hat, macht er jetzt eben doch für zwei Jahre weiter. Man macht ja, zumal in einem Quotenbetrieb wie dieser Zeitung, ab und an die Erfahrung, dass über angeblich testosterongesteuerte Chefs gespottet wird. In Bernd Wilms hat man nun also ein leuchtendes Gegenbeispiel. Geradezu vorbildlich, wie er die Gefühle zugunsten der Sache zurückstellt. Hey, ihr Chefinnen dieser Republik, so etwas muss man erst mal bringen!

Der andere, der Dienstherr, ist Berlins Kultursenator Thomas Flierl. Er hatte mit dem Deutschen Theater Großes vor. Irgendwie klassisch-gediegen sollte es werden, aber auch zeitgenössisch-brillant. Irgendwie was für traditionsbewusste Abonnenten, aber auch was für Debatte und Diskurs. Und dass er das alles von Bernd Wilms nicht kriegen würde, dessen war Thomas Flierl sich sicher.

Nun, ohne besseren Kandidaten ist das alles Schnee von gestern. Zwar überboten sich die Kulturteile mit Namen: Christoph Schlingensief, Tom Stromberg, Thomas Oberender, Andrea Breth wurden genannt. Ein schönes Spiel. Das hätte jahrelang so weitergehen können. Nur dass es selbst der von Flierl eingesetzten Kandidatenfindungskommission bald dämmerte, dass es das Beste sei, zunächst mal den Vertrag mit Wilms einfach zu verlängern. Zumal Frank Baumbauer, der wohl wirklich als Intendant in Frage kommt, bis 2009 an ein anderes Theater, die Münchner Kammerspiele, vertraglich gebunden ist.

Nun, man könnte sich natürlich Kultursenatoren wünschen, die den beim fröhlichen Intendantensuchen immer möglichen Vorwurf, gerade eine Provinzposse hinzulegen, souveräner umgehen. Allerdings ist die Vertragsverlängerung mit Wilms von Flierls Seite aus auch ein schönes Beispiel für die im Kapitalismus ja immer geforderte Flexibilität. Wie hieß das mal so schön in der Nachfolge Hegels? Freiheit ist die Einsicht in die Notwendigkeit. Thomas Flierl hat sich gerade als ein sehr freier Mann erwiesen. DIRK KNIPPHALS