: „In former times, they have been lions“
Unser Gesellschaftsreporter Joachim Lottmann berichtet von der Jubiläumsveranstaltung „25 Jahre Grüne“ in der Berliner Kulturbrauerei. Joschka Fischer fehlte, dafür waren andere Promis und jede Menge Graue Panther da: Die Grünen sind längst Teil des Methusalem-Komplotts
VON JOACHIM LOTTMANN
Darf man über alte Leute Witze machen? Darf man sie scheußlich finden? Sie singen „Mit 66 Jahren“ von Udo Jürgens, normalerweise, und tun ganz harmlos, sind aber in Wirklichkeit schon 77 und haben an Vernichtungsfeldzügen der deutschen Wehrmacht gegen artfremde Untermenschen teilgenommen. Die Alten an sich sind böse in Deutschland, von dem Bild kommt man nicht los. Normalerweise. Doch seit gestern muss ich umdenken. Ich habe die Jubiläumsveranstaltung „25 Jahre Grüne“ besucht. Was für nette Senioren! Ein Streicherquartett fidelte Procul Harums „A Whiter Shade of Pale“ und die weicheren Zumutungen von Led Zeppelin (wie gesagt, kein Witz) in die Hörrohre der Grauen Panther, äh, der grauhaarigen Grünen. Irre, wie man in einem Vierteljahrhundert vergreisen kann! Das sind doch nur 25 Jahre. Da können andere noch Rad fahren oder sogar einen Beruf ausüben. Zum Beispiel Otto Schily. Aber der ist ja zur SPD gewechselt.
Oder auch Joschka Fischer. Am Vortag im Volmer-Untersuchungsausschuss, am Tag darauf in Davos beim Kamingespräch der Superreichen, da hätte er eigentlich, an diesem freien Tag dazwischen, kommen können. Ja müssen. Eine Gründungsomi schüttelt störrisch ihre weiße Beatlesfrisur: „Da hätte er sich echt mal blicken lassen können!“ Sie ist stolz darauf, alles mitgemacht zu haben. „Brokdorf, Gorleben, Dünnsäureverklappung, Hofgarten … eben das ganze Programm.“ Mit Hofgarten meint sie Willy Brandts Friedensrede in Bonn gegen den Nato-Doppel… – ach, wissen Sie schon. Man weiß irgendwie alles. Auch dass die Grünen immer „gestalten“ wollen. Das Wort fällt andauernd, auf einer Podiumsdiskussion mit Schäuble, Marieluise Beck, Ralf Fücks und so weiter. Nur die Tochter von Marieluise Beck sieht gut aus. Cool. Die einzige Frau unter 50. Leider interessiert sie sich nicht für die Grünen. Nicht für Ralf Fücks zum Beispiel, geschätzte 59, mit Piercing im Ohr und HipHop-Glatze – er ist allerdings auch ihr Daddy. Obwohl er noch so fresh rüberkommt, favorisiert die 17-Jährige Eminem.
Die Promis kommen spät
Gleich mehrere Hallen der weitläufig totsanierten Kulturbrauerei sind von den Grünen zwei Tage lang gemietet worden. Man quält sich durch die dunklen Backsteingemäuer von Halle zu Halle. Hier wird diskutiert, dort getrunken, woanders ein Film gezeigt. Jede Halle hat auch eine Bar, und dort wird geredet, geredet, geredet. Eigentlich keine schlechte Sache. Spät in der Nacht taucht auch eine Prominente auf, Kerstin Müller, Staatsministerin. Sie guckt mir über die Schulter, liest meine Notizen. „Hallo, Kleines!“ sage ich spontan. Sie dreht sich weg. Die Süße ist noch keine 60, muss die Haare kaum nachfärben. Sie ist meine zweitliebste Politikerin. An erster Stelle steht Krista Sager. Auch sie kommt, ich sage: „Sie haben das so fein gemacht in Hamburg mit Ortwin Runde. Damals lag das Schicksal der Stadt noch in den Händen redlicher Menschen. Herr Runde war sicher auch ein sehr partnerschaftlicher und fairer Mann!“ Sie verschluckt sich fast: „Partnerschaftlich?!“ Sie hustet, überlegt lange. „Na, fair, von mir aus.“
Je länger der Abend, desto netter die Gäste. Konrad Weiß, Werner Schulz, Andrea Fischer, Minu Barati sind da, zumindest eine blutjunge Muslimin, die sie sein könnte. Ich spreche sie an. „Wo ist Josef? Josef Fischer? Joschka??“ Sie hat in Ankara Abitur gemacht und studiert an der Humboldt-Universität Internationale Politik und Europäische Studien oder so was. Seit drei Wochen ist sie erst in Deutschland. Seit einer Woche ist sie Mitglied der Grünen. Keiner hat ihr gesagt, dass es keine jungen Grünen gibt. Sie sitzt da wie in der Tanzschule und wartet darauf, aufgefordert zu werden. Aber kein feuriger junger Tänzer kommt. Das Methusalem-Komplott hält sie umfangen. Röchelnd kommen Hans-Jürgen-Wussow-Typen auf sie zugetorkelt. „Oh my God! They’re so OLD!“ Ich erkläre es ihr. Weiß ich doch, dass unter den jungen Ausländern („Deutschländer“ nennen sie sich) Rentner und Nazis synonyme Begriffe sind. „They are old, but good people. In former times, they have been lions! They fought for the right thing …“ Blumig sprach ich von ihren Taten, wie sie mit friedlichen Mitteln und pazifistischer Absicht Züge entgleisen ließen, Strommasten kippten und mit Säurefarbbeuteln das Trommelfell des Außenministers zum Platzen gebracht hatten. Doch halt, das war ja Fischer …, aber sie nicht seine Minu. Von der Optik her hätte es sein können („Die Physik muss stimmen“, DJ Rezzo Schlauch zugeschriebenes Motto), aber sie war’s trotzdem nicht.
Kein Hippie nirgends
Und dann ein Mann im Dreiteiler. Ein Fremder. Ein CDU-Typ: Reinhard Bütikofer vom Bundesvorstand. Alles an ihm schien zu schreien: „ICH BIN ANDERS! Ich bin kein Fusselbart! Ich bin nicht grün! Led Zeppelin gehen mir am Arsch vorbei!!“ Dabei hat seine Hippiephobie überhaupt keine Grundlage. Echte Hippies gibt es nirgendwo mehr. Keine stillenden Mütter mehr im Bundestag (aus dem Alter sind sie raus). Keine strickenden Öko-Greteln mehr, die die Kamera einfangen könnte. Schon gar keine zerrissenen Turnschuhe, mitgebrachten Tiere und absurden Sonnenblumen mehr. Keine spontanen Zwischenrufe, kein antiautoritäres Aufmucken. Ganz, ganz, ganz im Gegenteil. Ein bleischweres Spießertum liegt wie Mehltau über allen Veranstaltungen.
Diese Leute, die aussehen wie Helge Schneider oder wie Reinhard May 1977 in Alt, verhalten sich toter und unvitaler als jeder Sparkassenleiter zur Adenauerzeit. Von wegen Hardrock: Hier tut sich rein gar nichts mehr. Und die Promis auf der Bühne reden so, als wollten sie den Preis für kleinbürgerliches Berufspolitikertum gewinnen: „Akzeptanz neu austarieren müssen … Thema am Wickel haben … demografischen Wandel gestalten … was Ansätze zur Teilhabe leisten können … Agenda neu verorten, bis wir wieder optimal aufgestellt sind.“ Aufgestellt! Brrr! Bäh! Hier redet inzwischen JEDER so wie Guido Westerwelle, und die Gruftis unten nicken nicht einmal. Kein Mensch käme noch auf die Idee, das Mikro an sich zu reißen und zu rufen: „Was macht euch Spaß? Was langweilt euch? Soll der Arsch im Nadelstreifen hier uns wirklich zulabern dürfen?!“ Es sind auch jede Menge Bodyguards im Raum, die das verhindern würden. Sie symbolisieren sozusagen die „neue Sicherheitslage“ in Deutschland, die wir seit „dem 11. September, nicht wahr“ haben und derentwegen ein Bürgerrecht nach dem anderen abgeschafft werden darf. Unter grüner Verantwortung.
Politik für den Kollwitzplatz
Aber man soll nicht ungerecht sein. Ich gebe zu, auf keiner der vielen Foren, Rückblicke, Debatten, Empfänge und Partys gab es etwas Unerwartetes und Spontanes oder gar Lebendiges. Nicht einmal als eine Rednerin (Manuela Rottmann) etwas ungeschickt fragte: „Sollen wir etwa Politik für die neuen Familien am Kollwitzplatz machen, die Bioprodukte kaufen und ihre Kinder in die Waldorfschule schicken?!“, gab es kein lautes, kräftiges, vielstimmiges „Jaaa!“. Und doch ist es so: Für genau diese Leute sitzen die Grünen in der Regierung. Und das ist gut so. Denn, wenn Sie mich fragen: Es gibt keine besseren Menschen als die jungen Familien am Kollwitzplatz, die Bioprodukte kaufen und ihre Kinder in die Waldorfschule schicken!