: In der Tristesse des Nordens
HANDBALL Am letzten Spieltag treffen die Rivalen Kiel und Flensburg aufeinander. Einst ein Garant für Hochspannung, doch von diesem Spiel wird nicht mehr viel erwartet
VON RALF LORENZEN
Das hatten sich die Spielplangestalter der Deutschen Handball Liga (DHL) anders vorgestellt. Am letzten Spieltag der Bundesliga-Saison an diesem Samstag den Krimi-Klassiker THW Kiel gegen die SG Flensburg-Handwitt anzusetzen – das schien Hochspannung und Nervenkitzel zu garantieren. Man erinnere sich nur an das Jahr 2007, als die beiden Fördestädte nicht nur das Meisterschaftsrennen bis zum Schluss offen hielten, sondern auch Europas Krone unter sich ausspielten.
Doch aus der „Hitze des Nordens“, wie es ein Buch über die Dauer-Rivalität der beiden Vereine genannt hatte, ist die Tristesse des Nordens geworden. Nicht nur, dass die Mannschaften in der Tabelle vier Plätze und die stattliche Anzahl von 19 Punkten trennen. Kiel steht auch bereits als Meister fest, und Flensburg kommt selbst bei einem Sieg nicht von Platz fünf und über die Teilnahme am blassen EHF-Cup hinaus. Beide Clubs haben im Moment so viel mit sich selbst zu tun, dass nicht einmal die üblichen Giftpfeile die Ostseeküste hoch und runter fliegen.
In Kiel wird derweil der Rathausbalkon geputzt, als wäre diese Bundesliga-Saison lediglich die Fortsetzung der vergangenen. Die Innenstadt rüstet sich für den Ansturm von 20.000 Fans, als ob dieses Jahr nicht eine gewaltige Zäsur in der Geschichte des erfolgreichsten Handballvereins Deutschlands darstellen würde. Dennoch wird der Jubel am Samstagnachmittag nicht so unbeschwert ausfallen wie in den Vorjahren – und das liegt nicht nur am in der letzten Sekunde verpassten Champions League-Sieg gegen Ciudad Real.
Die Folgen des Bestechungsskandals werden den Club noch lange in Atem halten. Unabhängig davon, was die ermittelnden Staatsanwaltschaften letztendlich ans Tageslicht fördern, muss der Verein nicht nur mit dem Imageverlust fertigwerden, sondern auch einen gewaltigen Strukturwandel stemmen. Dabei ist es fast egal, wer nun statt des ehemaligen allmächtigen Managers Uwe Schwenker, der im Zentrum der Manipulationsvorwürfe steht, die neue Führung bildet. Schwenker hat über Jahre eine strategische Machtposition aufgebaut. Er sei nicht zu ersetzen, sagt nicht nur THW-Coach Alfred Gislason.
Zu allem Überfluss verliert der THW Kiel am Ende der Saison zwei weitere Identifikationsfiguren: Mit Stefan Lövgren verlässt ein Kapitän das angeschlagene Schiff, der die Mannschaft trotz zahlreicher Verletzungen in den letzten Jahren auch dann zusammengehalten hat, wenn es knisterte und schepperte. Und mit Nikola Karabatic verlässt der unbestritten beste Rückraumspieler der Welt Kiel Richtung Montpellier – im Schlepptau seinen Freund Vid Kavticnik. Als Ersatz für den Weltklasse-Rechtsaußen angelten sich die Kieler für angeblich 250.000 Euro Christian Sprenger vom SC Magdeburg. Der Verein braucht das Geld dringend, um die Lizenz zu behalten.
Großer Gewinner dieser turbulenten Saison ist Trainer Alfred Gislasson, der in Rekordtempo aus dem Schatten seines großen Vorgängers Noka Serdarusic getreten ist. Vor allem auf ihm ruhen die Hoffnungen, den nächsten Angriff aus Hamburg und Mannheim abzuwehren.
Weniger fürchten muss der THW auf absehbare Zeit ihren heutigen Gegner. Dessen neuer Trainer Per Carlén sieht für die Flensburger ohnehin eine neue Rolle vor: „Mit jungen Spielern großen Kampf liefern – das wird unsere Trademark.“