: Arbeit machen
Was kann Rot-Grün noch tun, um Jobs zu schaffen? Eine höhere Mehrwertsteuer würde Arbeit billiger machen
BERLIN taz ■ Blöd für Rot-Grün: Direkt vor der Schleswig-Holstein-Wahl muss die Bundesregierung eine „grausame Zahl“ präsentieren, wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt gestern die erwarteten 5 Millionen Arbeitslosen nannte. Ob die Therapie „Hartz IV“ wirkt, weiß man erst in einigen Jahren. Was also könnte Rot-Grün noch tun, um sich der Utopie Vollbeschäftigung zumindest zu nähern? An Vorschlägen von außen mangelt es nicht.
So forderte Hundt gestern, den Beitragssatz zur Arbeitslosenversicherung zu senken – von 6,5 auf 5,5 Prozent. Denn jeder Prozentpunkt gesparte Lohnnebenkosten schaffe 100.000 Arbeitsplätze, darauf habe die Regierung selbst hingewiesen. Zur Gegenfinanzierung schlug Hundt vor, dass Finanzminister Hans Eichel auf den so genannten Aussteuerungsbetrag verzichtet. Er wird 2005 voraussichtlich 6,7 Milliarden Euro betragen – und soll von der Bundesagentur für jene Langzeitarbeitslosen entrichtet werden, die neu ins Arbeitslosengeld II rutschen und dann aus Steuermitteln finanziert werden.
Die Regierung lehnte diesen Vorschlag ab. Schließlich will man über ein Instrument verfügen, mit dem sich die Arbeitsagenturen motivieren lassen, schnell zu vermitteln und Erwerbslose gar nicht erst ins Arbeitslosengeld II abzuschieben. Allerdings mindestens genauso wichtig: Der Finanzminister braucht diese Milliarden, um seinen Haushalt auszugleichen.
Doch Hundt ist nicht der Einzige, der die Lohnkosten senken will, damit Arbeitskräfte billiger werden. Das schlagen auch viele Ökonomen vor. Zur Gegenfinanzierung zielen sie jedoch meist nicht auf den „Aussteuerungsbetrag“ – stattdessen wollen sie die Mehrwertsteuer erhöhen. Sie brachte 2004 etwa 137 Milliarden Euro, das sind rund ein Drittel aller Staatseinnahmen. Eine Erhöhung um 3 Prozent beispielsweise – von heute 16 auf 19 Prozent – würde 30 Milliarden Euro zusätzlich in die öffentlichen Kassen spülen.
Wichtig für die Exportnation Deutschland: Die Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert sich durch indirekte Verbrauchssteuern nicht. Zudem haben viele Staaten in Europa eine höhere Mehrwertsteuer. Die Spitze halten Dänemark und Schweden mit 25 Prozent. Gerade diese höheren Mehrwertsteuern könnten jedoch die niedrigere Arbeitslosigkeit in manchen Nachbarstaaten erklären. Dort sind die Sozialsysteme steuerfinanziert – die Arbeit wird billiger, ohne dass die Löhne sinken müssen.
Eine erhöhte Mehrwertsteuer bringt jedoch einen bedeutenden Nachteil mit sich, der sich nur schwer abstellen lässt: Sie belastet einseitig diejenigen, die keine Einkommen aus Lohnarbeit beziehen, sondern Transferleistungen des Staates erhalten. Also Rente, Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld. Diese Bevölkerungsgruppen würde durch niedrigere Einkommensteuern oder Sozialbeiträge nicht entlastet, müssten trotzdem aber mehr für ihre Güter des täglichen Bedarfs bezahlen.
Konsequenz: Die Renten und Sozialhilfesätze wären entsprechend anzupassen – gleichzeitig müsste sichergestellt sein, dass Niedrigverdiener bei der Einkommensteuer überproportional entlastet werden. Das erfordert politischen Willen, denn die Aufstockungen für die Ärmeren müssten anderswo wieder eingenommen werden – beispielsweise durch einen Mehrwertsteuer-Luxuszuschlag auf 5er BMWs.
Realistisch oder unrealistisch? Die Mehrwertsteuer kommt immer mal wieder ins Gespräch – zuletzt hat sie die schleswig-holsteinische SPD-Ministerpräsidentin Heide Simonis vorgeschlagen. Aber im Vorfeld von Wahlen, wie demnächst auch in Nordrhein-Westfalen, zeigt ihre Partei nicht den Drang, Steuererhöhungen anzukündigen. Angesichts der „grausamen Zahl“ von 5 Millionen Arbeitslosen wird der Arbeitgeberpräsident nicht den letzten externen Vorschlag unterbreitet haben.
HANNES KOCH