: Union schwach, SPD schwächer
EUROPAWAHL Die CDU verliert Prozente – und siegt trotzdem. SPD stagniert erneut auf historischem Tief. CSU schafft es ins europäische Parlament. FDP, Grüne und die Linkspartei gestärkt
Franz Müntefering, SPD-Vorsitzender
AUS BERLIN THILO KNOTT
Die Union hat die Europawahl in Deutschland trotz deutlicher Verluste gewonnen. Die SPD schafft den erhofften Befreiungsschlag nicht. Nach den Prognosen von ARD und ZDF könnten die Sozialdemokraten am Sonntag sogar unter ihren historischen Tiefpunkt von 21,5 Prozent vor fünf Jahren rutschen. Sie erreichten 21 bis 21,5 Prozent. CDU und CSU kommen auf 38 bis 38,5 Prozent – mehr als fünf Punkte weniger als 2004. Die CSU kommt in Bayern auf 49,5 Prozent und schafft damit klar den Sprung über die bundesweite Fünfprozenthürde. Sie erreicht ein deutlich besseres Ergebnis als bei der Landtagswahl im September, wo sie mit 43,4 Prozent ein Debakel erlebt hatte.
Die FDP erreicht nach starken Gewinnen mit 10,5 bis 11 Prozent ihr bislang bestes Ergebnis bei einer Europawahl. Die Linke verbessert sich leicht und kommt auf 7 bis 7,5 Prozent. Die Grünen liegen mit 11,5 bis 12 Prozent in der Nähe ihres Rekordergebnisses von 11,9 Prozent vor fünf Jahren. Die erstmals bei einer Europawahl antretenden Freien Wähler schafften den Sprung ins Europaparlament nicht. Rechtsextreme Parteien spielten so gut wie keine Rolle.
„Das ist für uns ein schwieriger Abend“, sagte der SPD-Parteivorsitzende Franz Müntefering nach Bekanntwerden der Prognose. „Das Ergebnis ist deutlich schlechter als erhofft“, sagte Müntefering. „Wir sind sehr enttäuscht“, sagte auch das SPD-Vorstandsmitglied Andrea Nahles. Sie sagte aber, Kanzlerin Merkel könne „kontinuierlich nicht gewinnen“.
Bundeskanzlerin Angela Merkel stimmte die Unionsparteien schon vor Schließung der Wahllokale am Sonntag auf Verluste bei der Europawahl ein. „Vor fünf Jahren hatten wir eine außergewöhnliche Situation“, sagte die CDU-Vorsitzende der Bild am Sonntag auf die Frage, ob CDU und CSU wieder ein Ergebnis über 40 Prozent erzielen würden. Bei der Europawahl 2004 waren die Unionsparteien zusammen auf 44,5 Prozent der Stimmen gekommen. Die SPD stürzte auf 21,5 Prozent ab. Die Grünen kamen auf 11,9 Prozent, die FDP auf 6,1 Prozent und die Linke – damals noch die PDS – auf 5,8 Prozent. Merkel verwies darauf, dass die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder seinerzeit wegen ihrer Arbeitsmarktreformen massiv in der Kritik gestanden und deshalb ein „außergewöhnlich schlechtes Ergebnis“ erzielt habe. „Von der Schwäche der SPD konnte die Union als damals größte Oppositionspartei überdurchschnittlich profitieren“, sagte Merkel.
Freude dagegen gab es bei den drei kleinen Parteien. „Wir haben ein sehr starkes Ergebnis. Und wir sind von einem hohen Niveau gekommen“, sagte der Grünen-Parteivorsitze Cem Özdemir. Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Andreas Pinkwart sagte, dies sei ein „historisches Spitzenergebnis“. FDP-Parteichef Guido Westerwelle sagte: „Keine Partei hat so zugelegt wie wir.“ Petra Pau, Mitglied im Fraktionsvorstand der Linkspartei, sagte, sie freue sich, dass keine rechtsextreme Partei aus Deutschland ins Europaparlament gewählt wurde.
Die Wahlbeteiligung bei der Europawahl in Deutschland war erneut schwach. Bei oft regnerischem Wetter blieb die Zahl der Wählerinnen und Wähler in vielen Teilen des Landes nach Angaben der Wahlleiter hinter der Beteiligung im Jahr 2004 zurück. Bis gestern Nachmittag gaben 20,2 Prozent der Wahlberechtigten und damit geringfügig weniger als bei der letzten Abstimmung vor fünf Jahren ihre Stimme ab, wie der Bundeswahlleiter mitteilte. Bei der letzten Europawahl hatten zum selben Zeitpunkt 20,4 Prozent der Wahlberechtigen abgestimmt. 2004 gingen 43 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl. 1994 gab es immerhin noch eine Wahlbeteiligung von 60 Prozent, während sie 1999 auf 45,2 Prozent einbrach.
In der Bundesrepublik waren am Sonntag insgesamt 64,3 Millionen Wahlberechtigte zur Stimmabgabe aufgerufen, darunter 62,2 Millionen Deutsche und 2,1 Millionen hier lebende EU-Ausländer. Sie wählten 99 Abgeordnete für das Europaparlament. Dafür bewarben sich insgesamt 1.196 Kandidaten aus 32 Parteien und Gruppierungen, wovon 30 Bundeslisten aufgestellt hatten. Mit 99 Politikerinnen und Politikern stellt Deutschland als größter EU-Staat die meisten Abgeordneten.
Neben den Europawahlen fanden noch Kommunalwahlen in Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen statt.