Jammern auf niedrigem Niveau

EUROPAWAHL Parteien ratlos: Nur vier von zehn Norddeutschen stimmten am Sonntag über das EU-Parlament ab. CDU und SPD verlieren, FDP ist strahlender Gewinner, Linke und Grüne legen zu – nur in Hamburg setzt es herbe Verluste für Schwarz-Grün

19 Abgeordnete werden künftig Norddeutschland im Europaparlament vertreten. Die CDU hat sieben Mandate, die SPD und die Grünen jeweils vier, FDP und Die Linke jeweils zwei. Nach Ländern geordnet sind es: Niedersachsen (11): CDU: Hans-Gert Pöttering, Godelieve Quisthoudt-Rowohl, Hans-Peter Mayer, Burkhard Balz; SPD: Bernd Lange, Matthias Groote; Grüne: Rebecca Harms, Sven Giegold, Jan Philipp Albrecht; FDP: Gesine Meißner; Linke: Sabine Lösing. Schleswig-Holstein (3): CDU: Reimar Böge; SPD: Ulrike Rodust; FDP: Britta Reimers. Hamburg (3): CDU: Birgit Schnieber-Jastram; SPD: Knut Fleckenstein; Linke: Sabine Wils. Bremen (1): Grüne: Helga Trümpel. Mecklenburg-Vorpommern (1): CDU: Werner Kuhn.

VON SVEN-MICHAEL VEIT

Die wichtigste Zahl der Europawahl in Norddeutschland: 46,7 Prozent. So hoch war die Wahlbeteiligung in Mecklenburg-Vorpommern. Es ist die höchste im Norden, nochmal um 1,6 Prozent höher als 2004, und über dem bundesweiten Durchschnitt von 43,3 Prozent. In den anderen vier Küstenländern liegt sie darunter: In Niedersachsen stimmte immerhin noch jeder Vierte ab (40,5 Prozent), in Hamburg (34,7 Prozent) gerade mal jeder Dritte (siehe Tabelle).

Im Stadtstaat an der Elbe sank die Beteiligung erneut, während sie in den anderen Nordländern immerhin leicht anstieg. Zwar sei sie „froh, dass der Abwärtstrend gestoppt wurde“, erklärte Schleswig-Holsteins Landeswahlleiterin Manuela Söller-Winkler. Rat aber wusste sie auch nicht: „Sollte sich die Beteiligung auf diesem Niveau einpendeln, wäre das sehr unbefriedigend.“

Die Betroffenen vergossen pflichtschuldigst eine Krokodilsträne. Die geringe Wahlbeteilung sei „enttäuschend“, sagte Niedersachsens CDU-Landeschef David McAllister. Sein Ministerpräsident Christian Wulff ergänzte, man müsse auch „jenseits der Europawahl darauf hinweisen, wie wichtig Europa ist“. Schleswig-Holsteins SPD-Chef Ralf Stegner glaubt, die niedrige Wahlbeteiligung habe seiner Partei geschadet. Womit er eingesteht, dass sich nicht mehr gar so viele Menschen für seine Partei interessieren.

Folglich jammern die Sozialdemokraten im Norden auf niedrigem Niveau. Die schlechten bis desaströsen Ergebnisse aus dem Agenda-Wahljahr 2004 haben sie in Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Bremen sogar noch unterboten, in Mecklenburg-Vorpommern legten sie leicht zu, in Hamburg marginal. Ihr bestes Ergebnis erzielte die SPD in Bremen mit 29,3 Prozent – fraglich, ob sie sich noch als Volkspartei begreifen darf.

Arg viel besser geht es indes auch der CDU nicht, die flächendeckend die herbsten Verluste einstecken musste. Minus 3,5 Prozentpunkte in Bremen, in etwa das Doppelte in Niedersachsen und Hamburg, fast zehn Prozent in Schleswig-Holstein, mit 10,1 Prozent sogar zweistellige Verluste in Mecklenburg-Vorpommern: Das stimmt kaum optimistisch für die Bundestagswahl am 27. September. Zwar hat die CDU in Niedersachsen und Schleswig-Holstein die 40-Prozent-Marke noch in Sicht, in den Stadtstaaten aber liegt sie in den 20er-Regionen.

Der klare Sieger der Europawahl ist die FDP, die im gesamten Norden deutlich gewann. Zuwächse von 2,6 Prozent in Bremen sowie 5,7 und 6,3 Prozent in Hamburg und Schleswig-Holstein können als blaugelbe Zeichen für den Bundestag gewertet werden. Die Europawahl hat zumindest die Tendenz bestätigt, dass die FDP im September bundesweit zweistellig wird und bei der Bildung der nächsten Bundesregierung ein gewichtiges Wort mitsprechen dürfte.

Als Gewinner im Trend dürfen sich auch Grüne und Linke fühlen, die in ihren Hochburgen deutlich die dritte Kraft oder gar zweitstärkste Partei sind. Die grünen Machtzentren liegen mit mehr 20 Prozent weiterhin in Hamburg und Bremen, doch auch in beiden westdeutschen Flächenländern haben sie ihre zweistelligen Ergebnisse von der vorherigen Europawahl bestätigt. Die grüne Diaspora ist die Heimat der Linken: 5,5 Prozent zu 23,5 Prozent lautet das Verhältnis in Mecklenburg-Vorpommern, im Westen des Nordens ist es genau umgekehrt.

Drei Regierungsbündnissen wollten die WählerInnen bei der Europawahl offensichtlich ihre landespolitische Unzufriedenheit mitteilen. Die großen Koalitionen in Schwerin und Kiel machten addierte Verluste von knapp zehn Prozent – in beiden Fällen vor allem die CDU. In Schleswig-Holstein, wo in 11 Monaten gewählt wird, geht die Tendenz so zu einem schwarz-gelben Wahlsieg: CDU und FDP erzielten am Sonntag zusammen veritable 50,6 Prozent.

Das dickste Minus aber schlägt in Hamburg zu Buche. Verluste von 11,1 Prozent muss Schwarz-Grün nach 13 Monaten Regierung verdauen. Das Federnlassen der Grünen auf 20,5 Prozent – nach dem Rekordergebnis von 24,6 Prozent vor fünf Jahren – fällt da weniger ins Gewicht als die minus 7,0 Prozentpunkte der CDU: Auf unter 30 Prozent ist Ole von Beusts Union gesackt, die noch bei der Hamburg-Wahl 2004 die absolute Mehrheit bejubelte. Damit nähert sich die Hanse-CDU der örtlichen SPD – und die ist bekanntlich heillos zerstritten.