Carmina? Warum nicht Carmen!

Projekte gegen die kulturelle Verarmung an den Schulen: Musik- und Sprechtheater erfordern außergewöhnliches Engagement von LehrerInnen. Denn es gibt von der offiziellen Bildungspolitik weder Geld noch ausreichend Unterrichtsstunden

Als Johannes Luig vor einigen Jahren die Oper verließ und Musiklehrer am Schulzentrum Obervieland wurde, gab es dort keinen Chor, kein Orchester und keine Aula. Die Schüler hören Hip Hop und kommen aus Familien, in denen Opernbesuche nicht zur Abendgestaltung gehören und Geigenunterricht nicht zum Erziehungsprogramm. Keine besonders gute Voraussetzung, um eine Aufführung der „Carmina Burana“ zu planen.

Luig traute sich trotzdem – der Zulauf zu den Schulchören wurde so groß, dass Musiklehrer Luig mit seinen Kollegen das nächste Projekt plant: die Oper Carmen. „Nicht, weil ich größenwahnsinnig bin, sondern weil es einfach eine reißerische Oper ist“. Und ein Thema hat, das die 17-Jährigen aus seinem Leistungskurs Musik genauso anspricht wie die 15-Jährigen aus der Mittelstufe. So haben sich 180 jugendliche SängerInnen, zehn Solisten, eine Pianistin und eine querflötenspielende Kollegin zusammengetan und das Stück einstudiert. Und Sponsoren gesucht, weil von der Schulbehörde kein Geld zu erwarten war. Drei Mal füllte „Carmen“ im Januar das Modernes.

An einigen anderen Bremer Schulen hat die Bedeutung des Musikunterrichts schon eine etwas längere Tradition. Inzwischen bieten 18 Schulen ein besonderes Musikprofil an, etwa das Schulzentrum Sebaldsbrück mit seinen Bläserklassen, in denen die Schüler ab der 5. Klasse ein Blasinstrument erlernen.

Welche Rolle Musik oder darstellendes Spiel an einer Schule spielen, ist stark vom Engagement der Lehrer und Schulleitung abhängig. Rainer Czybulka vom Schulzentrum Obervieland hat vor einigen Jahren angesichts von je zwei Wochenstunden Musik in der 5. und 10. Klasse damit begonnen, eine „Musizierklasse“ einzurichten, die eine Zusatzstunde Musikunterricht bekommt und sich nachmittags freiwillig zum Musizieren trifft. „Es ist die Frage, ob man solche Projekte an der Schule will“, meint Johannes Luig. Viele seiner SchülerInnen kommen aus Elternhäusern, die kaum Erfahrungen mit Konzert oder Theater vermitteln. „Die große Masse der Schüler ist kulturell verarmt. Das ist eine Katastrophe“.

Seine Hoffnung ist, dass mit der Erfahrung der Carmen-Inszenierung einige der Jugendlichen anfangen, privat ein Instrument zu lernen. Das Orchester musste diesmal noch ersetzt werden durch ein Klavier. Luig schaffte für die Schule einen Flügel an, da er den Klang des verstimmten alten Schulklaviers nicht länger ertragen konnte. Für die Finanzierung des Instruments wurde in den Aufführungen gesammelt.

In einer Oper-Aufführung verbindet sich die musikalische Aufgabe – Chor – mit der theatralischen. Als Fach „Darstellendes Spiel“ ist die Theaterarbeit seit 1987 als reguläres Unterrichtsfach möglich und wird heute an knapp 20 gymnasialen Oberstufen angeboten. „Es ist wesentlicher Teil der Schulkultur“ sagt Holger Möller. Er ist Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft für das Darstellende Spiel in den Bremer Schulen und Lehrer am Schulzentrum Walliser Straße. An seiner Schule führt eine Klasse gerade ein selbst geschriebenes Stück über das muslimische Kopftuch auf. „Das Problem an der Schule ist, dass wir ganz unterschiedliche Meinungen zur Rolle der Frau haben, ohne dass darüber geredet würde“, berichtet Möller. Erst mit dem Schreiben des Stücks seien die Schüler zu einer offenen Diskussion gekommen.

Über mangelndes Interesse an seinem Fach kann Möller nicht klagen: Die Schüler kommen sogar noch nach den Abiturprüfungen zum Proben, um ihr Stück im Sommer auf die Bühne bringen zu können. Soziale Kompetenz, Disziplin, Konzentration – all das lernen die Jugendlichen dabei ganz nebenbei. Aber noch wichtiger scheint Möller für viele Schüler eine ganz andere Erfahrung: Aufmerksamkeit für etwas gemeinsam Produziertes zu bekommen.

Ob sich das Darstellende Spiel an den Schulen durchsetzen kann, ist auch für Möller eine Frage des individuellen Lehrerengagements: „Letztlich setzen sich an den Schulen diejenigen Kernfächer durch, wo Kollegen engagiert ihre Arbeit machen“. Für die bleibt ihnen in der Sekundarstufe I allerdings wenig Zeit, denn dort gibt es im Regelfall gerade mal zwei Stunden Unterricht für die ästhetische Bildung. „Schlichtweg zu wenig“, findet Möller. Und wenn die SchülerInnen nach der 10. Klasse das Schulzentrum wechseln, gehen gewachsene Bindungen kaputt. Das trifft auch die Theaterarbeit. Friederike Gräff

Die nächsten Aufführungen von Bremer Schulen: „ohne Dieter“, Gemeinschaftsproduktion des SZ am Rübekamp und der Gesamtschule Mitte. 8.2./ 20 Uhr. 9.2./11 und 20 Uhr. 10.2./ 20 Uhr Kulturzentrum Schlachthof