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Archiv-Artikel

„Nie entthront“

Horst-Eberhard Richter über Max Schmeling

„Als 13-Jähriger, ich erinnere mich noch sehr gut, saß ich gebannt vor dem Radio und habe mit Eifer den K.-o.-Sieg gegen Joe Louis 1936 verfolgt. Damals gab es ja noch nicht diese Medienwelt wie heute, keine Live-Fernsehübertragungen. Später dann zeigte das Planetarium am Zoo in Berlin wochenlang Schmelings Sieg als Film.

Er war damals eine sehr wichtige Figur für mich als Junge – ich war sehr sportinteressiert, aber auch fasziniert von der Persönlichkeit Max Schmeling, von seinem Charakter: Er stammte ja nicht nur aus einfachen Kreisen, sondern blieb im Gegensatz zu anderen Boxern auch nach seinem Ruhm sehr volksnah, einer zum Anfassen. Er gab nicht den selbstgefälligen Star, wie viele Spitzensportler heute, die sich in der Medienwelt exponieren. Und dann beeindruckte mich seine Ehe mit Anny Ondra – das war ja eine richtige Sensation: die zarte Schauspielerin und der kräftige Sportler! Was man so lesen konnte, soll die Bindung der beiden sehr verlässlich und liebevoll gewesen sein. Kein Wunder, dass Max Schmeling bis heute nie enthront wurde – auch wenn er von den Nationalsozialisten insbesondere auf Grund seines Siegs gegen Louis als Symbol der arischen Übermächtigkeit vereinnahmt wurde. Er empfand es ja – nach allem, was man in seiner Biografie nachlesen kann – als eher unangenehm, dass er von den Nazis als Symbol missbraucht wurde. Sein Vorteil war letztlich, dass Louis die Revanche zwei Jahre später gewonnen hatte. Als Verlierer konnte und musste er nicht mehr als Vorzeigefigur herhalten.

Sehr berührend empfand ich, dass Schmeling später eine tiefe Freundschaft zu Louis hatte und sich sehr gekümmert hat, als dieser schwer krank war. Schmeling hat sich eben bis zuletzt nie mit dem Selbstbewusstsein einer deutschen Symbolfigur präsentiert – im Gegensatz zu einem Franz Beckenbauer oder Boris Becker, die in ihrer Popularität durchaus vergleichbar sind – vielleicht ist er gerade deshalb eine große gewesen.“

HORST-EBERHARD RICHTER (81) ist Psychoanalytiker und Friedensforscher. Der Autor zahlreicher Bücher zu sozialpsychologischen Themen lebt in Gießen und war Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt.