Politische Geister sterben aus

Als Plattform für Protest wird der Geisterzug von immer weniger Jecken genutzt. Auch die Zuschauer hatten am Samstag kaum Interesse an politischen Parolen. Ebenso wenig am Flaschenpfand

VON JÜRGEN SCHÖN

„Iesije Zigge“ waren angesagt. Eine Narrengruppe hatte das Motto des diesjährigen Geisterzugs wörtlich genommen und ging als Eisverkäufer der Firma „Lange Nase – Merkel & Schröder“ verkleidet an der Spitze des Zuges. Äußerst sparsam verteilte sie Kamelle der Marke „Hartzbitter“. Doch diese Jecken gehörten zur Minderheit derer, die den alternativen Straßenkarneval als Plattform nutzten für politischen Protest gegen Sozialabbau und „andere Probleme, die immer mehr Menschen frösteln lassen“, wie es die Geisterzug-Organisatoren formuliert hatten.

Die erwünschte Vereinigung von Karneval und politischem Protest fand noch weniger statt als in den Jahren zuvor. Der weit überwiegende Teil der Zehntausende, die am Samstag Abend durch die Innenstadt zur Abschlussparty am alten Eisstadion zogen, wollte einfach nur feiern. Dafür hatten sich die Jecken oft prachtvoll und mit viel Phantasie verkleidet. Als Skelett, als Hexe; auch Priester und Nonne waren beliebt – diese Kostüme stammten allerdings meist von der Stange. Dazu gab es wie üblich reichlich Sambarhythmen.

Bei so viel Karnevalslaune auch bei den dichtgedrängten Zuschauern entlang des Zugweges stießen politische Themen auf wenig Interesse. Das galt für Aufrufe zu einer bundesweiten Anti-Bush-Demo ebenso wie für die „Hölle Alaaf“-Flugblätter von Attac, in denen auf die menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen hingewiesen wurde, unter denen in China Karnevalsartikel produziert werden. Höchstens als Exoten bestaunt wurden Montagsdemonstranten, die sich als Montagsdemonstranten mit Transparenten gegen Hartz IV „verkleidet“ hatten. Wenig originell auch die Grüne Jugend: Sie war mit bunten Kopfbedeckungen und einer grünen Fahne aufgelaufen. „Langweilig“, kommentierte ein Zuschauer am Straßenrand. „Wer Karneval nicht mag, soll zu Hause bleiben“, raunte er noch, bevor er wieder die Kölschflasche ansetzte.

Vermutlich ist auch diese Flasche kurz darauf den Weg alles Irdischen gegangen: Die Straßen waren mit leeren Flaschen und Glasscherben übersät. Geschäftstüchtige Kinder, die die Flaschen sammelten, hatten allerdings einige Schwierigkeiten, diese bei den Kiosken zurückzugeben. Denn viele Büdchenbesitzer weigerten sich, das Leergut anzunehmen. „Ich musste erst mit der Polizei drohen“, berichtete Herbert Markert, der seinem Sohn Florian zur Hilfe kam.

Aber nicht nur wegen des nicht ausgezahlten Pfands konnten sich die Büdchenbesitzer zu den Gewinnern des Abends zählen. Mit ihren Bierpreisen um 1,50 Euro pro Halbliterflasche gruben sie den erstmals aufgestellten offiziellen Getränkeständen das Wasser ab. Dort kosteten 0,33 Liter Mühlen-Kölsch 2 Euro – zuzüglich 50 Cent Pfand, einzulösen an jedem der strategisch geschickt platzierten Stände. Für viele Jecken noch nicht teuer genug, um die leere Flasche auch zurückzubringen.