: „Ich könnte das Kamel umarmen“
Luigi Falorni
Der Mann ist ein typischer Berliner. Vor 33 Jahren wurde Luigi Falorni in Florenz geboren. Kaum ein halbes Jahr lebt der Italiener in Friedrichshain, schon wird er für den Oscar nominiert – für seinen Abschlussfilm an der Münchner Filmhochschule, den er zusammen mit seiner Kommilitonin Byambasuren Davaa bei Mongolen in der Wüste Gobi gedreht hat. Allein in Deutschland haben mehr als 300.000 Menschen „Die Geschichte vom weinenden Kamel“ gesehen. Vor einer Woche hat Falorni den Regiepreis der Directors’ Guild of America gewonnen. Jetzt wartet er auf die Oscar-Verleihung am 27. Februar. Ein Gespräch über mongolische Nomaden, die Renaissance des Dokumentarfilms und die Frage, warum Hollywood nie selbst anruft
INTERVIEW JAN ROSENKRANZ
taz: Herr Falorni, haben Sie sich schon einen Smoking besorgt?
Luigi Falorni: Nein, ich weiß auch gar nicht, wo ich einen herbekomme. Ich dachte immer, dass es Stylisten gibt, die sich vor der Oscar-Verleihung melden – zumindest bei den Schauspielerinnen …
… die dann mit Versace und so eingekleidet werden …
… ja, genau. Aber bei uns hat sich bislang keiner gemeldet.
Wie haben Sie überhaupt von der Nominierung erfahren?
Viel Hoffnung hatten wir nicht – die „Geschichte vom weinenden Kamel“ ist ein kleiner Film, meine Abschlussarbeit an der Münchner Filmhochschule. Als wir in die Vorauswahl in der Kategorie Dokumentarfilm kamen, haben wir natürlich mit Spannung auf die Bekanntgabe der letzten fünf gewartet. Vor zwei Wochen war es so weit. Ein paar Journalisten hatten mich extra in den Zoo verschleppt und vor das Kamelgehege gestellt. Es war irrsinnig kalt.
Und auf einmal rief Hollywood an?
Nein, so läuft das nicht. Unser Producer Tobias Siebert hat mich angerufen, er hatte es im Internet gelesen. Er ist Bayer und rief ins Telefon: „Luidschi, mir hom’s!“
Dreht man dann nicht durch?
Man springt in die Luft, schreit herum und vergisst für einen Moment auch diese blöde Situation am Kamelgehege. Mein Gott, das ist so eine gigantische Nachricht, vor allem, wenn sie einen am Beginn der Karriere ereilt. Ich hätte das Kamel umarmen können.
Ihr Film, den Sie mit Ihrer Mitstudentin Byambasuren Davaa gedreht haben, handelt von einem kleinen Kamel, das von der Mutter verstoßen wird. Ein mongolisches Nomadenritual soll beide wieder vereinen. Haben Sie keine Angst vor Kitsch?
Doch, absolut. Das war meine größte Sorge, wie kann man die Geschichte erzählen, ohne in Ethno-Kitsch zu versinken. Geiger fiedelt, Frau singt, Kamelmutter weint vor Rührung und nimmt ihr Kind doch noch an – das steht alles unter Kitschverdacht. Aber uns ging es um das Leben der Menschen, ihre Art zu denken. Das macht die Geschichte wieder ganz real und ernst. An rein anthropologischen Filmen war ich eben nie interessiert.
Und an Tieren?
Nein, an Tierfilmen auch nicht. Es ist auch keiner. Der Film erzählt eine Geschichte. Die steht im Mittelpunkt. Ich wollte etwas Universelles erzählen, nicht nur von einem merkwürdigen Ritual in der Wüste Gobi, sondern etwas, das auch uns im Westen berührt. Die Menschen sind nicht so anders, sie haben dieselben Bedürfnisse und Werte, die bei uns zum Teil verloren gegangen sind: Solidarität, Zusammenhalt, der Glaube an die Liebe. Davon handelt der Film. Das ist doch universell.
So universell, dass hierzulande über 300.000 Kinobesucher kamen. Wie sind Sie auf das Thema gekommen?
Byambasuren Davaa ist in der Mongolei aufgewachsen. Eines Tages erzählte sie mir von diesem Ritual, das die Nomaden bis heute pflegen. Ich fand das faszinierend, vor allem die Geschichte dahinter. Also begannen wir, ein Drehbuch zu entwickeln. Ich dachte dabei an eine Art dokumentarisches Märchen.
Und dann muss man nur noch dieses Kamel finden, das ein Junges zur Welt bringen und verstoßen wird.
Ja, ein schwieriges Unternehmen. Ich bewundere immer noch die Leute, die uns finanziert haben. Es war keineswegs sicher, dass wir mit einem Film zurückkommen. Es hätte genauso gut in die Hose gehen können. Wir sind – zunächst ohne Team – zwei Wochen lang 4.000 Kilometer durch die Mongolei gefahren, um die richtige Familie zu finden. Sie sollte eine große Herde haben und vor allem viele trächtige Kamele.
Das kann dauern.
Allerdings. Zumal die enorme Gastfreundschaft in gewisser Weise auch ein Problem war. Wenn eine Familie mitten in der Wüste Besuch bekommt, geht sie davon aus, dass der Besucher eine beschwerliche Reise hinter sich hat. Also muss er sich erst mal ausruhen, dann bekommt er zu essen und danach beginnt man zu reden. Sehr allgemein zunächst: „Wie war der Frühling bei euch?“
Man fällt also besser nicht mit der Tür in die Jurte?
Man sagt nie sofort, warum man gekommen ist. Das ist auch so eine Art Ritual. Ich dachte, wir könnten am Tag fünf oder sechs Familien besuchen. Schon bei der ersten blieben wir bis spät in der Nacht hängen – und hatten noch kein Wort über den Film gesprochen.
War es denn schwierig, den Nomaden Ihr Projekt zu erklären?
Das war komischerweise völlig unkompliziert. Sie haben sofort begriffen, dass wir durch den Film etwas über ihre Lebenseinstellung, ihren Geist erzählen wollten und nicht nur an exotischen Ritualen interessiert waren, wie die meisten Reporter, die nur kurz in die Wüste fahren. Sie haben sich geehrt gefühlt.
Haben Sie daran geglaubt, dass das überhaupt funktioniert?
Wir haben uns natürlich Sorgen gemacht. Vor allem um das kleine ausgehungerte Fohlen, das wirklich am Ende war. Und einen Moment hab ich gedacht, das ist alles unsere Schuld. Wir haben so sehr gewollt, dass es verstoßen wird, um den Film drehen zu können, hoffentlich klappt dieses Ritual. Die Nomaden sagten immer: Keine Angst, das klappt immer. Wir waren trotzdem enorm angespannt. Wir wussten, das ist der Showdown, die Schlüsselszene, wenn wir die vermasseln, dann macht der ganze Film keinen Sinn.
Und wie lief es dann?
Wunderbar. Es hat fast den ganzen Nachmittag gedauert. Man konnte spüren, wie die Mutter sich bei der Musik allmählich beruhigte. Am Anfang war das Tier richtig zornig, dann wurde es immer stiller, hat auch nicht mehr gebissen. Und dann kam der magische Moment.
Die Kamelmutter weinte tatsächlich – einen Sturzbach voller Tränen.
Ja, das war wirklich irre. Das ist der unique selling point des Films, hat unser Producer immer gesagt. Aber es ist nicht das Thema des Films. Es ging darum, dass die Familie durch Zusammenhalt und Liebe dem kleinen Kamel hilft zu überleben. Die Nomaden hatten sehr viele Jungtiere, eins weniger wäre finanziell gesehen kein Verlust gewesen. Und doch haben sie es nicht aufgegeben. Die Träne ist nur die kleine Kirsche auf der Torte, nicht die Torte selbst.
Zwei Monate waren Sie in der Wüste. Wie geht es den Kamelen heute?
Mutter und Kind sind unzertrennlich. Das ist sehr wichtig. Jungtiere bleiben zwei, drei Jahre bei der Mutter, weil sie nicht nur Milch brauchen, sondern auch gute Ratschläge.
Hat die Nomadenfamilie den fertigen Film mal gesehen?
Ja, sie haben ihn alle gesehen. Er hat ihnen auch sehr sehr gut gefallen.
Im Laufe des Films sagt der Großvater zunächst, man brauche keinen Fernseher, diese Glasbilder seien nicht gut. Am Ende wird dann trotzdem ein TV-Gerät angeschafft. Ist das Ihre Schuld?
Nein. Wir hätten das auch gar nicht verhindern können. Vor allem die Jüngeren haben auf einen Fernseher bestanden. Seitdem ist der Urgroßvater ein bisschen arbeitslos geworden, seine Geschichten interessieren die Kinder nicht mehr so.
Also doch noch ein kleiner sozialkritischer Schwenk?
Na ja, es wäre gelogen, wenn wir es nicht gezeigt hätten. Das ist genau das, was zurzeit bei den Nomaden passiert: Das Fernsehen kommt massiv in Mode. Wenn man die wertvolle Kultur kennen lernen durfte, sieht man das natürlich mit Schmerz. Aber wer gibt mir die Berechtigung, den Nomaden zu sagen, was für sie das Beste ist?
Sie sind auch ein bisschen Nomade. In Florenz geboren …
… auf dem Land aufgewachsen, ein Jahr in Amerika, München, ein Jahr in Rom, jetzt eben Berlin. Ich mag den Nomadismus, in dem Sinne, dass man sich wirklich bewegt. Aber auch in dem Sinn, dass man sich zwischen den Kulturen bewegen kann. Gerade als Filmemacher ist das wichtig.
Seit einem halben Jahr sind Sie in Berlin. Was hat Sie hergeführt?
Es ist eine tolle Stadt. Ich bin fast zehn Jahre in München gewesen. Nach dem Abschlussfilm stand ich vor der Wahl, entweder bleibe ich hier für den Rest meines Lebens oder ich gehe weg. Jetzt oder nie. Meine Frau war in Rom zu der Zeit, ich zog erst mal dorthin.
Rom war nicht so toll?
Doch, doch, aber ich hätte dort nicht arbeiten können. Es gibt praktisch keine Dokumentarfilme in Italien, jedenfalls nicht den langen, erzählenden Film.
Woher kommt eigentlich diese Renaissance des Dokumentarfilms?
Ja, seit ein paar Jahren ist das so. Vielleicht liegt es daran, dass im Spielfilm alles ausgereizt ist – von Dogma bis Special Effects. Dokumentarfilm bietet noch viel Neuland. Und inzwischen ist Michael Moore nicht mehr der Einzige, der Doku-Filme in die Kinos bringt. Das ist eine Revolution. Sehr lange Zeit war man ins Fernsehen einsperrt. Jetzt gibt es ganz andere Möglichkeiten. Im Kino hat man hat mehr Zeit, mehr Ruhe. Kino ermöglicht Poesie.
Woran arbeiten Sie gerade?
Ich muss gestehen, seit ich hier bin, also ein halbes Jahr lang, habe ich mich zu Hause eingesperrt und an einem Drehbuch geschrieben – für einen Spielfilm. Insofern habe ich auch von Berlin wenig mitbekommen. Meine Begegnung mit Berlin beschränkt sich auf den Bäcker an der Ecke.
Man könnte hier in Friedrichshain doch prima Doku-Filme drehen. Über Punks und Hunde vielleicht?
Ich weiß nicht, ob die Stadt noch einen Dokumentarfilm braucht. Es gibt schon so viele. Aber was mich beeindruckt an Berlin, ist diese Heterogenität gerade in der Architektur. Man kann die einzelnen Schichten der Geschichte herauslesen. Das ist faszinierend. Aber Architekturfilme sind schwierig, irgendwie …
… statisch?
Ja, das ist es wohl. Ich konzentriere mich jetzt erst einmal auf den Spielfilm. Dokumentarfilm muss warten.
Zumindest bis zum 27. Februar, der Oscar-Nacht. Was passiert eigentlich, wenn Sie doch gewinnen?
Wie gesagt, wir sind die Außenseiter. Es gibt vier Konkurrenten mit guten Filmen. „Fahrenheit 9/11“ ist zwar nicht dabei, aber zum Beispiel „Supersize Me“, dieser McDonald’s-Film.
Jetzt mal nicht tiefstapeln! Vor einer Woche wurde Ihr Film von der Vereinigung amerikanischer Regisseure (Directors’ Gild of America, DGA) mit dem Regiepreis bedacht. Das gilt als wichtiges Indiz für die Oscar-Verleihung.
Ja, wir waren zwar nicht dabei, aber es ist ein Riesending in Los Angeles. Genau einen Monat vor den Oscars. Aber so weit will ich gar nicht denken. Für mich ist dieser DGA Award fast schöner als ein Oscar. Es sind schließlich Kollegen, die den Preis vergeben haben. Das ist eine unglaubliche Anerkennung.