: Ausgehen und hingucken
Smalltalk, stilvolles Handtäschchen und stilisiertes Lachen: Der amerikanische Dokumentarfotograf Larry Fink holt selbst bei den ritualisierten Abläufen der High Society das Individuelle in der starren Pose hervor. Jetzt sind seine kleinformatigen Schwarzweißbilder in der Galerie „Camera Work“ zu sehen
VON SEBASTIAN FRENZEL
Die Macht des Bildes, erzählt Larry Fink, habe er das erste Mal erfahren, als er 13 Jahre alt war. Seine Familie war gerade von Brooklyn in eine kleine Vorstadt gezogen, und auf der Suche nach neuen Freunden fand Larry Fink heraus, dass er sich beliebt machte, indem er Fotos von den Jungs des Footballteams schoss. 1954 war das, und Kameras waren rar. Doch trotz dieser schnell gewonnenen Popularität: Wirklich zugehörig hat er sich nie gefühlt, er ist immer ein Außenstehender geblieben.
Man kann diese Anekdote als symptomatisch für das Werk des amerikanischen Dokumentarfotografen Larry Fink ansehen. Fink ist einer, der in die unterschiedlichsten Milieus eintauchen und doch jederzeit heraustreten, die Perspektive eines Beobachters einnehmen kann – nur so ist das Zugleich von Intimität und Distanz zu erklären, das seine Aufnahmen durchzieht.
Eine Ausstellung in der Galerie „Camera Work“ versammelt jetzt Werke Larry Finks aus den vergangenen 30 Jahren. Die kleinformatigen Schwarzweißbilder, allesamt Vintage-Prints, sind gegliedert nach den drei Monografien „Social Graces“, „Boxing“ und „Runway“. Unabhängig von ihren Themen bestechen die Aufnahmen durch ihre klaren Kontraste: Fink arbeitet mit dem Blitz in der einen und der Kamera in der anderen Hand, was den Schnappschusscharakter der Bilder verstärkt und ihnen ein Gefühl des Unheimlichen verleiht. Wie im Licht eines Scheinwerfers schälen sich grelle Elemente aus der Finsternis hervor; man fühlt sich wie der Zeuge einer Szenerie, die man nie hätte sehen dürfen.
Voyeuristisch sind diese Aufnahmen indes nicht, denn Finks Bilder entstehen im öffentlichen Raum, an Orten, wo alles darauf angelegt ist, gesehen zu werden. Für „Social Graces“, übersetzt etwa „Gesellschaftliche Umgangsformen“, ist der Fotograf in den frühen Siebzigern losgezogen in die Welt der Reichen und Schönen. Vernissagen, Bälle, das Studio 54 – Fink ist dahin gegangen, wo die High Society der Ostküsten-Metropolen feiert. Die Aufnahmen zeigen selten mehr als Ausschnitte. Man sieht Gäste beim Smalltalk oder beim Essen, gepflegte Hände und gut gefüllte Weingläser, stilvolle Handtäschchen und stilisiertes Lachen.
Wer hier ist, beherrscht das mimische Repertoire, aus jeder Pose spricht die soziale Position. Diese Feiern sind dafür da, in den ritualisierten Abläufen das Individuelle aufgehen zu lassen – doch auf irritierende Weise holt Fink es mit seinen Fotografien wieder hervor. Im grellen Blitzlicht der Kamera wirken die Hände und Gesichter seltsam überzeichnet, sie treten weißlich hervor wie in einem Pantomimenspiel. Man steht vor diesen Bildern und sieht ein endloses Ineinanderübergleiten von Mimik und Maske, von emotionalem Ausdruck und lebloser Pose. Ein junges Paar tanzt unter einem opulenten Kronleuchter, ihr Arm liegt auf seiner Schulter, Hand und Finger abgespreizt. Ist es Zuneigung, überdeckt von Anstand? Oder ist es Abscheu, kaschiert durch die Höflichkeitsformen?
Fink ist ein sozialdokumentarischer Fotograf, seine Arbeit ist oft mit der von Diane Arbus verglichen worden – beide studierten bei Lisette Model. Natürlich ist es entlarvend, wenn Fink Jugendliche beim Debütantenball fotografiert, die Erwachsensein proben, hineingestopft in neue Anzüge und gebrauchte Posen. Doch Häme spricht aus diesen Bildern nicht: Seine Arbeit sei politisch, nicht polemisch, sagt Fink. Das gilt ebenso für die Aufnahmen der ländlichen, heruntergekommenen Sabatine-Familie, die er den Bildern der Schickeria entgegengestellt hat. Den erhobenen Zeigefinger ebenso wie die Romantisierung der „einfachen Leute“ spart er sich.
Das Boxen und die Modewelt – das sind die Themen, denen Fink seit Anfang der Neunzigerjahre nachgegangen ist. Und auch für die Werkreihen „Boxing“ und „Runway“ gilt: Fink leuchtet die Szenerien aus, die sich abseits des großen Scheinwerferlichts abspielen. Die Fotos bestechen durch ihre Direktheit, man meint einzutauchen in die Welten des Schaukampfes und des Schaulaufens, dabei sieht man nicht mehr als Ausschnitte am Rande. Da steht eine Nadja Auermann im Umkleideraum, Visagisten und Ankleider wuseln um sie herum. Sie steht still, mit geradem Blick, ein Kleid mit kristallinen Aufsätzen wird ihr angelegt. Es ist alles drin in diesem Bild: Zerbrechlichkeit ebenso wie die Unnahbarkeit der Ikone, der Stolz, mit dem sie gleich über den Laufsteg läuft, die Erschöpfung, die nachfolgt. Ohne allegorisches Geplänkel erzählen die Fotografien Larry Finks Geschichten, die mehr umfassen als den Augenblick.
Bis 5. 3., Di. – Fr. 10 – 18, Sa. 10 – 16 Uhr, Galerie Camera Work, Kantstraße 149