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Archiv-Artikel

Zurück zur Ohrenbetäubung

Die Zeiten der flackernden Visuals sind vorbei: Der Club Transmediale hat in diesem Jahr nach einer Lösung für die Krise der elektronischen Musik gesucht – und in Norwegen eine Mischung aus Laptop, Jazz und Death Metal gefunden. Wer mochte, konnte sich aber auch DJ-Sets auf den Kopfhörer holen

Kapuzenpulliträger verrenkten sich leicht unbeholfen zu Digitallärm

VON ANDREAS HARTMANN

Was ist hier eigentlich los? Im Clubraum der Maria am Ostbahnhof kommt einem alles schnell bekannt vor: Vorne hantiert einer eifrig an den Turntables, ein paar Anwesende nicken rhythmisch mit den Köpfen – aber man hört überhaupt keine Musik. Erst bei genauerem Hinsehen erkennt man, dass es sich hier nicht um eine DJ-Set-Pantomine handelt. Stattdessen tragen die Leute im Raum allesamt Kopfhörer, über die sie direkten Kontakt mit dem DJ halten. Wir befinden uns, so wird man aufgeklärt, mitten in einem so genannten Placard, einem Kopfhörerkonzert. Placards sind der neueste Hit in Paris. Entstanden sind sie Ende der Neunziger als Reaktion auf übertriebene Lärmschutzverordnungen, inzwischen soll es ausufernde Placard-Festivals geben. Der Vorteil liegt auf der Hand: Zu einem echten Placard kann man problemlos Freunde ins eigene Wohnzimmer laden und bekommt dennoch keine Probleme mit den Nachbarn.

Hier in der Maria, in einem Club also, wo durchaus die Wände wackeln dürfen, geht das subversive Potenzial der Placards freilich flöten. Das macht aber nichts. Sinn der an zwei Tagen stattgefundenen Placards dürfte es gewesen sein, die herkömmlichen sozialen Strukturen des Clubs durchbrochen und hinterfragt zu haben. Der übliche Partytalk fällt weg, es gibt nicht mehr nur eine Community, sondern diese unterteilt sich in Kopfhörerträger und Kopfhörerlose, Lounge und Dancefloor lagen letztlich noch nie so nah beieinander.

Ein paar Tage vorher, am Wochenende, ging es in diesem Clubraum allerdings noch ganz anders zu. Der Berliner Jason Forrest aka Donna Summer lud unter dem Motto „Wasted“ zu zwei Breakcore-Nächten, die das absolute Gegenteil von Loungefeeling boten. Breakcore ist ein Genre, dessen Protagonisten bevorzugt so heißen, dass man sich sofort eine passende Musik dazu denken kann. Ein-Mann-Lärm-Maschinen wie Sickboy oder Shitmat malträtierten pausenlos ihre Laptops, erzeugten ohrenbetäubenden Digitallärm, und Kapuzenpulliträger verrenkten sich dazu leicht unbeholfen.

Dafür, dass Wasted den Clubraum in ein echtes Pandämonium verwandelte, war der Saal dennoch erstaunlich voll. Was vielleicht aber auch daran lag, dass die Club-Transmediale-Besucher an diesem überfüllten Wochenende nicht wussten, wohin sie sich sonst begeben sollten. Denn eigentlich bot Wasted dann doch nicht viel mehr als die Sorte von Krach, der vor ein paar Jahren noch regelmäßig bei Klangkriegnächten in der „Insel“ zu hören war.

Immerhin machten Wasted und Le Placard deutlich, wie sehr der Club Transmediale dieses Jahr darauf bedacht war, neue Wege zu gehen. Vorbei die Zeiten, in denen ein paar Laptop-Schrauber Knisterknaster produzierten, um ein wenig Medienkunstfestivalstimmung aufkommen zu lassen. Die aktuelle Krise von Clubkultur und elektronischer Musik schien man nicht mehr weiter verschleiern, sondern transparent machen zu wollen. Der Club Transmediale stellte deshalb auch seine eigene Tradition als Festival für elektronische Herumexperimentiererei in Frage. Ohnehin waren die in jeder Ecke flackernden Visuals, von Beginn an ein Hype der Transmediale, auf den man noch nicht ganz verzichten wollte, das Ödeste auf dem Festival.

Alles konzentrierte sich in diesem Jahr auf die Bühne. Und auf diese, das machte man dann auch bei den Konzerten im großen Saal deutlich, gehören keine gebeugten Jungs mehr, sondern echte Performer. Der eigentlich zu begrüßende Drang zur Performance führte dann jedoch gelegentlich so weit, dass etwa der Berliner Sascha Ring aka Apparat bei seinem neuen Projekt das Laptop ganz beiseite stellte, sich den Bass umschnallte und mit einer Band auftrat, die dann leider nur wie eine schlechte Variante von Zoot Woman klang.

Das Erstaunlichste aber war, wie auf der Club Transmediale scheinbar ganz nebenbei demonstriert wurde, dass zeitgenössischer Jazz doch noch zu retten ist – die Jazzprojekte des Skandinavien-Schwerpunkts lieferten den Beweis –, und dass Metal wieder da ist. Den besten Beleg für beide Thesen konnte man im fulminanten Auftritt von Kill aus Norwegen finden, die klangen wie ein etwas weniger künstlerisch wertvolles, dafür umso packenderes Update von John Zorns Naked City. Der Gitarrist der Band, der aussah wie der Dicke aus „Eis am Stiel“, der amtliche Death-Metal-Grunzer am Bass und ihre beiden Kollegen am Schlagzeug und der Elektronik sorgten mit ihrem eruptiven Jazzmetal für ausnahmslos offene Münder im Publikum und für ein Highlight des Festivals. Elektronischer Deathmetal, auch das hat der Club Transmediale richtig erkannt, dürfte in diesem Jahr ein echter Trend werden.