: „Er ist eine Zeitbombe“
Auf den Leib geschrieben hat Robert Thalheim Milan Peschel und Sebastian Butz die Rollen eines unwahrscheinlichen Vater-Sohn-Gespanns für seinen Film „Netto“ (Perspektive Deutsches Kino)
INTERVIEW DIETMAR KAMMERER
taz: Man muss sich mal klar machen, was Milan Peschel uns da vorführt: einen großmäuligen Versager und Tresenphilosophen, der sich selbst und alle anderen anlügt und die Schuld für alles auf die Wessis schiebt. Dennoch wird er einem unglaublich sympathisch. Es ist eigentlich nicht zu fassen.
Robert Thalheim: Nach meinem Kurzfilm „Ich“, in dem Milan Peschel einen Unternehmer spielte, hatte ich schon länger den Wunsch, noch einmal mit ihm zu drehen. Milan meinte, er hätte nichts dagegen, auch mal einen Loser zu spielen, wozu passte, dass mir schon länger eine Geschichte durch den Kopf ging über die Imbisshocker. Diese Leute, die man trifft, wenn man zum Vietnamesen geht, Typen mittleren Alters, die immer am Tresen sitzen und den ausländischen Budenbesitzern ihre Lebensgeschichte erzählen, weil sie anscheinend niemand anders dafür haben. Von da aus hab ich die Rolle Milan auf den Leib geschrieben.
Marcel, den Milan Peschel spielt, ist arbeitslos und bis zu einem Grad selbst schuld dran. Hatten Sie keine Angst, der Film könnte Ihnen als Ossi-Diffamierung ausgelegt werden?
In der Kurzbeschreibung hört sich das vielleicht wie ein Sozialdrama an, aber das trifft es nicht, der Film ist ein Stück weit auch Komödie. Ich fand es spannend, eine Figur zu haben, die einem am Anfang durchaus unsympathisch ist. Aber über den Film kann man hoffentlich ein Verhältnis zu ihm entwickeln und lernen, was er für Träume und Stärken hat. Dass er im Grunde genommen ein spannender Typ ist, der auch seinem Sohn was zu geben hat. Wenn auch keine Rollerblades oder so.
Gab es die Überlegung, aus dem Stoff ein tragisches Drama zu machen, ganz ohne seine komische Seite?
Ich fühle mich dem realistischen Kino verpflichtet und arbeite beispielsweise ganz ohne die übliche Emotionsmusik. Trotzdem muss man immer zugeben, dass man einen Film macht und eben nicht das wirkliche Leben nachbaut. Wir wollten auch zeigen, was für einen großen Spaß es gemacht hat, diesen Film zu realisieren.
Sie setzen Filmmusik sehr gezielt ein.
Musik ist ein wichtiger Teil von Marcels Traumwelt, dieser komischen Mischung aus Security, Country-Western, Taxi Driver. Lauter Versatzstücke, die sich bei ihm zu einer abstrusen Theorie verdichtet haben. Country hat etwas Ehrliches, Einfaches, es braucht keine Orchester. Als ich den Johnny Cash des Ostens gesucht habe, hat mir jemand Peter Tschernig empfohlen. Der erste Song, den ich von ihm gehört habe, war dann ausgerechnet „Mein bester Kumpel ist mein Vater“.
Sebastian Butz, der den Sohn spielt, hatte es mit Milan Peschel als Vater sicher nicht einfach.
Mit Sebastian habe ich bereits am Theater gearbeitet. Er ist einfach ein Schüler aus Brandenburg, ohne Schauspielerausbildung, aber er hat diese wahnsinnige Nonchalance, einen unheimlich trockenen, tollen Humor.
Ich mag an dem Film, dass er zwar eine Vater-Sohn-Beziehung in den Mittelpunkt stellt, aber nicht, wie im jungen deutschen Film zur Zeit oft zu sehen ist: Mein Leben ist verpfuscht, und die Eltern sind schuld. Hier tauschen sich die Rollen gerade um.
Ich hatte zuerst etwas Angst, ob wir dieses Kräfteverhältnis zwischen den beiden hinkriegen. Immerhin ist Milan schon so eine Rampensau, der jeden Abend an der Volksbühne vor tausenden von Leuten auftritt. Zum Glück hat das Sebastian nicht die Bohne interessiert, der kannte Milan gar nicht. In der Szene mit dem Bewerbungsgespräch hat er so eine Dominanz gekriegt, dass wir uns selbst gewundert haben. Er konnte eben etwas damit anfangen, das sind alles Sachen, die man heute in der Schule lernt, Unterricht in der Berufswahl. Der Sohn kommt mit den neuen Verhältnissen viel besser zurecht als der Vater. Das ist ja allgemein so, dass sich die Jugend mit Computern und all dem viel besser auskennt.
Aber natürlich sehnt man sich danach, dass der Papa ein Held ist, der sich besser auskennt als man selbst, und der einem sagen kann, wo’s lang geht.
Bloß dass dieser Vater nicht einmal sich selbst schützen kann, obwohl er sich als Bodyguard sieht. Je desolater seine Beziehungen im persönlichen Bereich sind, desto stärker wird sein Bedürfnis nach Sicherheit. Also baut er sich Alarmanlagen in die Wohnung und träumt sich als Security-Experte. Schaut man sich im Internet die Seiten von Sicherheitsagenturen an, ist das ja tatsächlich ein Betätigungsfeld, in dem Arbeitslosen irgendwelche Ausbildungen zum „Security-Marshall“ oder was weiß ich versprochen werden.
Die meiste Zeit spielt der Film in freundlicher Sommersonne. Umso größer ist der Kontrast zu den Szenen nachts, wo Milan wie ein Wahnsinniger mit dem Fahrrad durchs Regierungsviertel rast. Ich dachte immer: Gleich fährt er den Schröder über den Haufen.
Man weiß ja, dass er mit einer Waffe unterwegs ist. Ein Stück weit ist er eine tickende Zeitbombe. Es gab die Überlegung, das stärker zu machen, aber wir haben uns entscheiden, es im Hintergrund zu lassen. In der Vater-Sohn-Geschichte erzählt sich eigentlich genug. Die Waffe ist eher ein Ausdruck für eine ständige latente Bedrohung.
„Netto“. 12. 2., 16 Uhr, CinemaxX 6 und 21 Uhr, CinemaxX 3; 13. 2., 13.30, Colosseum, 20 Uhr CinemaxX 1