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Archiv-Artikel

Nicht für die Augen der Berliner

VERGESSLICHKEIT Wie Berlin die Übernahme einer Retrospektive von Raimund Kummer aus Bonn verpasst hat: Der Ruhm des Augenblicks zählt auch in Fördergremien oft mehr als die Geschichte eines Werks

Der öffentliche Raum, in dem Büro Berlin agierte, ist heute nur noch Chimäre

VON THOMAS WULFFEN

Soll es als ein Symptom gelesen werden oder ist es nur ein Ausrutscher? Ende Mai wurde im Kunstmuseum Bonn eine imposante Ausstellung mit Werken von Raimund Kummer eröffnet. Der Katalog zur Ausstellung „For your eyes only“ lässt mit vierhundert Seiten deutlich werden, dass es sich um eine Art Retrospektive handelt.

Das ist schön, denn Raimund Kummer hat die Ausstellung verdient. Weniger schön ist, dass sie nun nicht wie geplant nach Berlin kommen wird. Ein Antrag auf Förderung durch den Hauptstadtkulturfonds wurde abgelehnt. Vielleicht ist kein Geld mehr übrig, weil man mit 190.000 Euro demnächst eine Schau von Olafur Eliasson fördern will? In der Liste der geförderten Projekte erhält die Eliasson-Ausstellung den höchsten Betrag, bezogen auf den Förderungszeitraum von einem Jahr.

Dahinter lässt sich eine Art Gegenwartstaumel vermuten, Eliasson gilt allen Feuilletons als wichtiger Künstler. Man könnte ihn allerdings auch als Running Gag bezeichnen. Mit einer Ausstellung zum Werk von Olafur Eliasson, ausgerichtet von den Berliner Festspielen, bewegt man sich jedenfalls auf der sicheren Seite. Die Feuilletons werden berichten, die Fernsehanstalten Einblicke in die Schau liefern und die Zuschauer strömen. Es ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung, die sehr wenig mit Kulturpolitik zu tun hat oder zumindest mit dem, was man unter Kulturpolitik bis dato verstand oder verstanden wissen wollte. Aber von einem Kultursenator, der gleichzeitig Bürgermeister ist, darf nicht mehr erwartet werden, auch wenn sein Staatssekretär André Schmitz sich noch so sehr bemüht, die letzten Kartoffeln aus dem erloschenen Feuer herauszuholen.

Gegenwartsduselei

Wenn Kulturpolitik zum Stadtmarketing abgewertet wird, dann ist eine Förderung von Olafur Eliasson durchaus angeraten. Dann sollte man den Hauptstadtkulturfonds vielleicht doch gleich Ulrich Nußbaum, dem neuen Senator für Finanzen, in die Hände geben.

So zeigt sich die Ablehnung von Kummers „For your eyes only“ dann doch als Symptom. Nennen wir es das Symptom der Vergangenheitsvergessenheit. Sie wiederum ist das Ergebnis einer Gegenwartsduselei, der man sich gar nicht bewusst ist. Man handelt nach dem Motto: So viel Gegenwart wie möglich, so viel Vergangenheit wie nötig. Und Vergangenheit braucht man in der Kunstmetropole der Gegenwart offensichtlich nicht. Die Stadt läuft Paris den Rang ab und demnächst werden wir New York ins zweite Glied stellen. Wir sind berauscht von dieser Gegenwart und übersehen dabei, dass diese Gegenwart auch eine Vergangenheit hat und die beginnt nicht mit dem Mauerfall. Oder wollen wir das übersehen, weil es der endgültigen Vereinigung im Wege stehen könnte?

Ja, es gab eine Kunstszene in West-Berlin und es gab eine Kunstszene in Ost-Berlin. An Letztere mag man noch erinnern angesichts der mit Blindheit geschlagenen Kuratoren der Ausstellung „Sechzig Jahre – Sechzig Bilder“. Blindheit kann man auch der Jury des Hauptstadtkulturfonds vorwerfen für die Auswahl der üblichen Verdächtigen und die Leugnung der Vergangenheit: Denn Raimund Kummer war mit Hermann Pitz und Fritz Rahmann Gründungsmitglied des sogenannten Büro Berlin. Seit 1987 arbeiteten sie zusammen und luden befreundete Künstler und Künstlerinnen zu ihren Ausstellungen ein, die zum Teil in aufgelassenen Häusern stattfanden oder direkt im öffentlichen Raum. Allein der Begriff des öffentlichen Raumes und dessen Verwendung im Werk von Kummer wäre Grund genug Anlass gewesen, die Ausstellung zu fördern. Büro Berlin entdeckte diesen als eine künstlerische Ressource.

Der öffentliche Raum, in dem Büro Berlin agierte, ist heute nur noch Chimäre, beispielhaft vorgeführt in der Diskussion um das Marx-Engels-Forum, den Abriss des Palasts der Republik und den geplanten Wiederaufbau des Hohenzollernschlosses. Aber das ist nur ein weiteres Symptom einer Vergangenheitsvergessenheit, die zwar alte Schlösser wiederauferstehen lässt, aber die jüngere Vergangenheit ausblendet. So viel Gegenwart war nie. Bis wir feststellen, da fehlt doch etwas.