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Archiv-Artikel

Du warst langweiliger damals

Einen Film drehen, um klar zu sehen: In seinem neuen Stück „Das wundervolle Zwischending“ wendet sich Martin Heckmann dem Beziehungsleben zu. Am Donnerstag wurde es in der Regie von Charlotte Roos am Schauspiel Hannover uraufgeführt

VON SIMONE KAEMPF

Wann fing was an? Kennen lernen, erster Kuss, erste Liebesnacht, gemeinsame Wohnung, erster Betrug. Und wie fühlte sich das damals eigentlich an? „Irgendetwas stimmt nicht“, sagt Anne, „die Szene wirkt wie ausgedacht jetzt, obwohl sie genau so passiert ist.“ Beim Versuch der Rekonstruktion verschwimmen die Eindrücke und Gefühle. Johann und Anne, dieses Paar will es noch mal wissen, wie das begann, wo sie jetzt mittendrin sind, nach sieben Jahren Zusammenleben in der Einzimmerwohnung. Sie drehen einen Film, in dem sie die Stationen ihres gemeinsamen Lebens nachspielen. Da ist zum Beispiel die erste Begegnung. „Du warst irgendwie … langweiliger. Damals. Die Überraschung müsste stärker werden. Dass ich mich in dich verlieben konnte. Obwohl du so ein Langweiler warst.“ Treffer unter die Gürtellinie, aber dennoch gehört Martin Heckmanns’ neues Stück nicht ins Genre der strategisch geführten Ehezimmerschlacht.

„Das wundervolle Zwischending“ dreht sich um den Punkt, wo man nicht weiß, ob man noch verliebt ist oder nur ein Bild des Verliebtseins lebt. In einer Such- und Deutungsphase rund um den beruhigten Gefühlshaushalt. „Wir erfinden die Liebe neu“, sagt die Frau, „wir versuchen herauszufinden, was die Liebe sein könnte. Wir forschen in Liebesdingen und im Sprachgebrauch über Inneres.“ Solche monologische Ich-Suche kontrastiert geschickt mit kleinen Alltagsszenen, aus denen die Sprache abheben kann. Das Heckmanns-Drama ist, dass alle Schlachten schon geschlagen sind, dass alle eigene Liebe schon mal von anderen gelebt wurde. „Was soll denn das sein, ein Liebesfilm? Wenn es ein Liebesfilm ist, wie man ihn kennt, ist es kein Liebesfilm.“ Die Sprache verschafft den Zweifeln Tatsachen, und doch, und das ist die Paradoxie, versucht man mit den Mitteln der Sprache Klarheit und Handlungshoheit zu gewinnen. Eine Technik, deren Beherrschung Heckmanns mit „Das wundervolle Zwischending“ einmal mehr beweist.

Das Wechselspiel aus emotionaler Identifikation und sprachlicher Disziplinierung lässt für Regisseure viele Optionen offen. Charlotte Roos spielt in ihrer ersten Regiearbeit in der cumberlandschengalerie am Schauspiel Hannover einerseits halb realistisch die Alltagsszenen einer eingefahrenen Beziehung nach. Andererseits will sie ein Paar zeigen, das sein Leben als Kunst sieht und seine Kunst als Freiheit betrachtet, sich noch nicht so recht festzulegen. In jeglicher Hinsicht. Ungeachtet aller Hausordnung dient die Spüle als Sitzmöbel, als Liebesstätte oder als eine Art Aussichtsplattform für die Schwebezustände einer Liebesgeschichte. Wenn Johann romantisch werden will, dreht im Hintergrund die Popmusik lauter.

Das von der Bühnenbildnerin Stephanie Wagner lustig zusammengestellte kleine Apartment mit Küchenzeile, Hamsterkäfig und Ehebett scheint die Stimmung so vorgeprägt zu haben, dass Roos in „Das wundervolle Zwischending“ vor allem das Spaßstück sieht. Der Auftritt des Sozialamtmitarbeiters gerät zur Lachnummer, deren ernsthafter Bedeutung für die sich anbahnende Dreiecksgeschichte nichts abzugewinnen ist. Dabei sollte sich herumgesprochen haben, dass aus Heckmanns’ Texten etwas herauszuhören ist, das dem Geist der Zeit sehr nah kommt, das man durch Engführung heraustrichtern und im Schwebezustand halten kann. Bliebe das Exerzieren der Sprache, aber darin wirken Mila Dargies und Christoph Erdmann schlecht geführt, ohne einen Rhythmus für die Winkelzüge zu finden. So antizipiert der Abend, was die Figuren darin vorleben – man weiß nicht genau, was Sache ist.