: „Es ist der ganz normale Kapitalismus“
Die Deutsche Bank, die Milliardengewinne macht und trotzdem tausende Jobs streicht, habe keine Alternative, meint der Experte Wolfgang Gerke. Anders als Siemens oder BASF sage sie zumindest die Wahrheit. Weitere Entlassungen seien sicher
INTERVIEWHERMANNUS PFEIFFER
taz: In seltener Einmütigkeit wird die Deutsche Bank beschimpft. Herr Stoiber beklagt Geschmacklosigkeit, der Betriebsrat Unmoral. Was halten Sie von solcher Schelte?
Wolfgang Gerke: Gar nichts. Die Politiker betreiben ihr Spielchen. Es ist der ganz normale Kapitalismus, den die Deutsche Bank lebt. Wenn man dagegen ist, muss man nicht gegen ein einzelnes Institut vorgehen, sondern gegen diese Art von Kapitalismus.
Die Deutsche Bank macht 2004 einen Gewinn von 4,1 Milliarden Euro, entlässt aber tausende Leute. Ein Widerspruch?
Nein, aber es ist eine Konfrontation mit der Öffentlichkeit, die Wahrheit so unverblümt zu sagen. Andere machen das längst, nur leiser. Siemens, BASF und andere Konzerne maximieren ebenfalls ihren Unternehmensgewinn, letztlich zugunsten der Aktionäre und der Mitarbeiter, die im Unternehmen verblieben sind.
Welchen Schluss ziehen Sie?
Man sollte sich nicht über den Einzelfall aufregen, sondern über das System. Hinzu kommt: Die Deutsche Bank verdient selbst jetzt noch nicht „vor Steuern“, was etwa die Schweizer UBS „nach Steuern“ kassiert.
Was macht sie falsch?
Sie hatte zu hohe Kostenblöcke aufgebaut, die baut sie jetzt ab. Sie bereinigt die Fehler der Vergangenheit. Dabei ist sie erfolgreich, und entsprechende Prügel von Politikern muss sie jetzt einstecken.
Die Deutsche Bank argumentiert, sie brauche eine Eigenkapitalrendite von 25 Prozent. Warum sollen 100 Euro Eigenkapital gerade 25 Euro Gewinn im Jahr abwerfen?
Es ist eine runde Zahl. Wissenschaftlich gibt es dafür keine Begründung. International ist dies aber die notwendige Mindestzielmarke. Langfristig muss die Bank noch profitabler werden.
Wieso „notwendig“?
Die Konkurrenz setzt die Marke.
Der Personalabbau von heute ist der Fachkräftemangel von morgen, kritisiert Ver.di.
Die durchschnittliche Verweildauer liegt bei der Deutschen Bank kaum über drei Jahren. Firmentreue gibt es heute von keiner Seite mehr. Im internationalen Investmentbanking ist die Fluktuation riesig.
Aber es sind doch auch normale Angestellte betroffen.
Schon, aber auch viele Investmentbanker in London. Wir sollten nicht hoch bezahlte Banker mit den Arbeitern von Walter Bau in einen Topf werfen. Die Strategie der Deutschen Bank ist nicht auf kurze Sicht angelegt, es ist eine langfristige Strategie. Es wird in Zukunft immer wieder Perioden mit Entlassungen und Einstellungen geben.
Sie sehen also keine Alternative zum Ackermann-Kurs?
Für die Bank sehe ich kaum Alternativen. Das heißt nicht, dass wir generell das amerikanische System akzeptieren müssen. Wir müssen aufpassen, dass die soziale Marktwirtschaft nicht überrannt wird von einem globalisierten Wettbewerb amerikanischer Ausprägung.
Aber das klingt so hilflos wie viele Diskussionen in der Linken.
Möglich, aber Kapital ist knapp, Arbeit ist genug vorhanden. Die Hilflosigkeit der Menschen könnte allerdings so groß werden, dass sie sich ein anderes System suchen.
Also täte der Verbraucher gut daran, dem Boykottaufruf von Frau Ypsilanti zu folgen?
Nein, Sparkassen und Genossenschaftsbanken sind auf dem gleichen Weg wie die Deutsche Bank. Sie werden auch massiv Leute entlassen, nur werden sie es nicht an die große Glocke hängen. Schauen sie sich Frankfurt oder Berlin an: Sparkassen und Landesbanken haben mehr Milliarden verbrannt als die Deutsche Bank. Einfach schimpfen, wie Herr Stoiber und Frau Ypsilanti, geht nicht. Realistische Alternativen bieten sie nicht.
Aber aus Wettbewerbsgründen müssen wir Sparkassen und Genossen erhalten?
Jaja, unbedingt, ich bin ein Anhänger des Drei-Säulen-Systems. Es kann nicht angehen, dass eine private Bank ihre Fehler dadurch ausbügelt, dass sie eine erfolgreiche Sparkasse kauft.