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Archiv-Artikel

Mehr als Winterschlussverkauf

Frauen reisen zum Weihnachtsmarkt oder den Ausverkauf, Männer stehen auf die Route der Industriekultur: Die Ruhr-Region setzt auf steigende Besucherzahlen aus den Niederlanden

AUS ESSEN TIJTSKE YPMA

Das Ruhrgebiet hat eine neue Zielgruppe entdeckt: männliche Holländer. Waren es zuvor vorwiegend niederländische Frauen, die mit Bussen zu Weihnachtsmärkten oder zum Schlussverkauf anreisten, begeistert nun die Industriekultur auch deren Gatten. Das Ruhrgebiet wird für beide Geschlechter interessant – und rechnet mit einer wachsenden Zahl an Tagesgästen.

Bislang kamen die Bustouristen aus Holland zumeist zum Einkaufen ins Revier. Allein in Essen wurden in den fünf Wochen vor Weihnachten 41.000 Touristen aus den Beneluxländern gezählt – davon waren etwa 12.500 Niederländer. Wie viele zum Winterschlussverkauf anreisten, ist unbekannt. Über Nacht bleiben indes nur wenige: Monatlich sind es höchstens 1.500 – meistens handelt es sich dabei um Geschäftsleute, weiß Thomas Braun von der Essen Marketing Gesellschaft (EMG). „Glücklicherweise sind immer mehr Touristen darunter.“

Zwar habe auch der regionale Fremdenverkehr unter der wirtschaftlichen Rezession gelitten, doch es gebe eine „vorsichtige“ Zunahme vor allem bei Übernachtungen auf Campingplätzen.

Zudem zeige eine aktuelle Reise-Umfrage aus Hamburg, dass selbst organisierte Kurzreisen immer beliebter werden. Und weil das auch Annemieke Woldring vom Niederländischen Tourismusbüro bestätigen kann, kann sich das Ruhrgebiet auf mehr Besucher freuen.

Damit es so kommt, versucht die Ruhr-Tourismus GmbH zusammen mit der EMG die Bekanntheit der 1999 eröffneten Route der Industriekultur zu erhöhen. Zur Zeit begeben sich jährlich etwa 100.000 Niederländer auf die aus 25 Industriedenkmälern bestehende Industrietour. Im Durchschnitt geben sie bei einer solchen Tagesreise auf der insgesamt 400 Kilometer langen Rundstrecke 50 Euro aus. Wenn sie übernachten, lassen die europäischen Nachbarn 80 Euro in der Region. Mit dem Geld kann zwar nicht die Unterhaltung der Industriedenkmäler gesichert werden, aber immerhin drücken die Einnahmen die laufenden Kosten: „Wir sind schon sehr froh, wenn die laufenden Kosten vom Tourismus gedeckt werden“, sagt Thomas Braun vom Regionalverband Ruhr (RVR).

Der Regionalverband Ruhr will nun im Nachbarland ganz gezielt neue Besucher werben. Deshalb entstand eine Zusammenarbeit mit dem Industriemuseum in Kerkrade und deshalb reist die Tourismus-GmbH zu Reisemessen nach Holland. Und auch das noch junge Projekt der „European Route of Industrial Heritage“ (ERIH) soll nicht nur in den Niederlanden die Bekanntheit der Revierdenkmäler erhöhen. Das Gesamtvolumen dieses auch von der Europäischen Union geförderten und auf vier Jahre begrenzten Projektes beläuft sich auf 2,6 Millionen Euro. An der länderübergreifenden Kooperation unter der Federführung der Nordrhein-Westfalen Tourismus sind 13 Partner aus Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden und Belgien beteiligt.

Außer den Hinterlassenschaften der Schwerindustrie ziehen aber auch Konzerte immer mehr Touristen an. Musikfans in den Niederlande reisen zu Pop-, Jazz und Rockkonzerten. Weniger gut laufen bislang jedoch klassische Aufführungen und Musicals. Die EMG hat dafür eine plausible Erklärung: „Die Niederländer mögen die deutsche Sprache nicht“, sagt Marketing-Mitarbeiterin Henriette Rotterdam – sie stammt selbst aus den Niederlanden.

Weniger anfällig für Trends ist hingegen der Tourismus im Sauerland. Winterberg ist schon seit langem ein populäres Ferienziel für Holländer. Der Boom hält nun schon seit mehr als zwanzig Jahren an. An Winterwochenenden stellen die Holländer die Hälfte der Skifahrer, in der Ferienzeit sind sie auf den Pisten in der Mehrheit. In einigen Hotels logieren zu mehr als 90 Prozent Holländer. Autoschlangen mit Besuchern stauen sich mitunter bis nach Oberhausen. Trotzdem wird die Skiregion immer noch beworben, auch in Holland. „Wir müssen eben aufpassen, dass es so bleibt“, sagt Sylvia Piper von der Winterberg Tourist-Information.