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Archiv-Artikel

Der ideale Werbetexter

VON ROBERT MISIK

Da alles Kommunikation ist, hat derjenige Deutungshoheit, der eingängige Slogans prägt. Jürgen Habermas ist ein solcher Bezeichnungskünstler. „Der Publizist Habermas hat dem Wissenschaftler Habermas immer wieder zu prägnanten Formulierungen verholfen, ohne die in einer Kommunikationsgesellschaft Öffentlichkeit nicht erreicht werden kann“, schrieb der Soziologe Detlev Claussen einmal. „Eine Art Schadensabwicklung“, „Die neue Unübersichtlichkeit“, das sind fast geflügelte Worte geworden, und den „herrschaftsfreien Diskurs“, den fordert mancher ein, ohne genau zu wissen, was es mit Habermas’ Diskursethik akkurat auf sich hat.

Noch so eine Habermas-Wendung, die einen regelrechten Sieges-, ja Triumphzug durch die Essayistik und die Sonntagsreden genommen hat, bis sie in die Sphären des gepflegten Kneipengesprächs eingesickert war, lautet: „Kolonialisierung der Lebenswelt“. Systemische Medien wie „Geld“ oder „Macht“ kolonisierten heute die konkreten Lebenswelten, schrieb Habermas. Das ist jetzt auch schon über dreißig Jahre her, und wenn es heute üblich geworden ist, die „Totalökonomisierung der Gesellschaft“ zu beklagen, dann kann man das auch als versimpelte Schwundform der Habermas’schen Diagnose betrachten.

Die Spur dieser „Kolonisierung“ hat Habermas schon sehr früh aufgenommen, als er noch ein glühender Anhänger des „frühen“ Marx war. Nicht nur die Arbeit sei „entfremdet“, Rationalisierungen aller Art seien etwas, das den Bürger und die Bürgerin „mit ,Entfremdung‘ überzieht“. Heute, 54 Jahre später, klingt das so: „Das ganze Programm einer hemmungslosen Unterwerfung der Lebenswelt unter Imperative des Marktes muss auf den Prüfstand.“

ROBERT MISIK, 43, Publizist (unter anderem „Politik der Paranoia“, 2009), lebt in Wien