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Archiv-Artikel

Die Hunderter im Schuhkarton

Originalfotos, gesammelt und gescannt: „Verschwende Deine Jugend.doc“ (Forum) ist ein Lehrstück über das Ende einer Subkultur. Ohne bewegte Bilder erzählt Jürgen Teipel vom Aufstieg und Fall des frühen deutschen Punk

Man kann hier leicht den Überblick verlieren: „Verschwende Deine Jugend“, das Buch, klar, das war das Original, Jürgen Teipels 2001 veröffentlichtes Gesprächsbuch über den deutschen Punk und New Wave der späten Siebziger- und frühen Achtzigerjahre. Dann gab es die obligate CD zum Buch und eben auch einen Spielfilm, selbst wenn dieser außer Titel und zeitlicher Verortung nur wenig mit Teipels Buch zu tun hatte. Aber nun schon wieder ein Film mit dem seltsamen Titel „Verschwende Deine Jugend.doc“? Der Film zum Film zum Buch? „Verschwende Deine Jugend“, im Übrigen der Titel eines Songs von DAF, ein Markenartikel wie Tempo oder Persil?

Tatsächlich ist „Verschwende Deine Jugend.doc“ der gewissermaßen „authentische“ Film zum Buch. Am Computer entstanden, enthält er keine laufenden Bilder und entspricht in seiner rauen Machart der DIY-Ästhetik des Punk. Mit der Informatikerin Sigrid Harder hat Teipel Originalfotos von damals gesammelt, geordnet, gescannt und dann O-Töne seiner auf Kassetten aufgenommenen Buch-Interviews dazugeschnitten. Das klingt nicht, als wäre es leinwandkompatibel, funktioniert spätestens nach fünf Minuten aber gut und lässt die damalige Zeit und Szenerie farbig wiederauferstehen. Zumal die Verdichtung auf anderthalb Stunden Länge dramaturgisch von Vorteil ist. Denn verliert sich das Buch naturgemäß in mancher Anekdote, so erzählt dieser Film stringent vom Aufstieg und Fall des frühen deutschen Punk: zuerst das Herumprobieren und das politisch motivierte Sichabsetzen von 68ern und Hippies, das Gefühl, in den furchtbaren Siebzigerjahren Teil einer aufregenden Jugendbewegung zu sein – auch wenn sich das in Düsseldorf anders ausnahm als in Hamburg, und in Westberlin wieder alles anders war.

Dann der schleichende Übergang zum musikalischen Besserwerden, zur Frage, ob das jetzt professionell werden soll, sich die Idee von Punk mit Stardom verträgt, zum Label „Neue Deutsche Welle“, zum Ausverkauf. An der Schnittstelle der Labelbetreiber Alfred Hilsberg, der für die Verbreitung der Musik sorgte, auch Geld verdiente, es aber immer wieder in neue Produkte steckte. Rührend, wie mancher Beteiligte sich heute wundert, wie das mit den Finanzen so war – „Alfred zog auf Anfrage einen Schuhkarton unterm Bett hervor und gab ein paar Hunderter raus“–, aber keiner Hilsberg einen Vorwurf macht: Idealismus vor Geldverdienen, überzeugend personifiziert.

Schon anders und depressiver klingt, was am Ende Andreas Dorau über die neue Konkurrenz sagt: „Dieser ganze Markus-und-Nena-GAU war ja konventionell produzierter Schlagerpop. Das waren einfach Mucker mit gewieften Produzenten, die auf einmal dasselbe machten wie wir –nur eben in doof.“ Markus, Frl. Menke oder Rheingold, sie waren das Ende einer Subkultur, deren Geschichte „Verschwende Deine Jugend. doc“ als Lehrstück präsentiert. Das hat stellenweise ernüchternde Momente – doch gab es in Folge selbst in Deutschland immer wieder neue musikalische Subkulturen aus dem Geist von Punk, etwa The Sound & The Fury, Hamburger Schule. Und deren historische Einordnung und Aufarbeitung dürfte nicht lange auf sich warten lassen.

GERRIT BARTELS

„Verschwende Deine Jugend.doc“. heute, 20.30 Uhr, Colosseum; 18. 2., 17.30 Uhr, Arsenal; 19. 2., 14 Uhr Delphi