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Archiv-Artikel

Die Kölner „Lebenslüge“ vom Widerstand

Die Ausstellung „Juristen ohne Recht“ am Oberlandesgericht zeigt das Schicksal der 1933 von dort vertriebenen und verschleppten jüdischen JuristInnen. Sie verweist aber auch auf das Schweigen der nicht-jüdischen Kollegenschaft

KÖLN taz ■ Arthur Cahn war ein Patriot wie es damals viele gab. Ein Deutscher, der im Ersten Weltkrieg für sein Land kämpfte, genau wie seine beiden Brüder. Dass er Jude war, fiel nicht ins Gewicht, und so sollte es vorerst bleiben. 1920 wurde Cahn als Anwalt zugelassen und begann zu arbeiten - als einer von vielen Anwälten im Rheinland. Auch die Machtübernahme durch die Nazis schien daran nichts zu ändern: Aufgrund seines Fronteinsatzes behielt Cahn seine Zulassung, die vielen jüdischen Kollegen sofort entzogen worden war.

“Juristen ohne Recht“ heißt eine Ausstellung der Rechtsanwaltskammer Köln, die die Schicksale jüdischer Juristen in Köln, Bonn und Aachen während der NS-Zeit beleuchtet. Der Ort der Schau ist bewusst gewählt: Im großen Treppenhaus des Oberlandesgerichts dokumentieren mehrere Dutzend Paneele die Lebensläufe jüdischer JuristInnen aus dem Rheinland - genau dort, wo vor 72 Jahren Richter und Anwälte abgefangen und auf die Ladeflächen von Müllwagen gezwungen wurden.

Für den 1. April 1933 hatte die NSDAP zum reichsweiten Boykott jüdischer Geschäfte aufgerufen. In Köln gab es am Tag davor einen Sonder-Boykott, der sich speziell gegen jüdische Justizangehörige richtete: SA- und SS-Truppen stürmten das Gerichtsgebäude am Reichenspergerplatz, verluden jüdische Richter und Anwälte auf bereitstehende Müllwagen und transportierten sie ab wie Unrat - quer durch die Stadt bis zum Polizeipräsidium, damals in der Krebsgasse. Und niemand schritt ein: Die Kollegen im Gericht hüllten sich in Schweigen, die Passanten grölten um so lauter, während der demütigende Umzug an ihnen vorbeizog. Arthur Cahn bewies Scharfsinn genug: Unter dem Eindruck der Ereignisse vom 31. März emigrierte er im Juli desselben Jahres nach Palästina. Er starb 1976.

Die Ausstellung berichtet von Elsbeth von Ameln, die die Nazizeit im Untergrund überlebte, von Frederic Mayer-Alberti, der in die USA emigrierte, nach dem Krieg aber wieder in Deutschland als Anwalt tätig war. Doch die Texte und Bilder sprechen auch von Menschen, deren letztes Zeugnis eine Postkarte aus Theresienstadt ist, Menschen, die verschleppt und ermordet wurden. Auch auf eine dritte Gruppe von Menschen weist die Ausstellung hin: auf die Mitglieder juristischer Berufs- und Standesorganisationen, die nicht eingriffen, auf Richter- und Anwaltskollegen, die im Gegenteil von der „Entjudung“ der deutschen Justiz profitierten.

Bei der Ausstellungseröffnung sprach Bürgermeisterin Angela Spitzig (Bündnis 90/Grüne) von der Kölner „Lebenslüge“ in Bezug auf den Nationalsozialismus: Die Domstadt sei kein „Hort des Widerstandes“ gewesen, wo, wie so oft behauptet, die Bürger sich der NS-Ideologie am längsten und stärksten verweigert hätten.

Inhaltlich basiert die Kölner Schau in weiten Teilen auf den Forschungen von Professor Klaus Luig von der Universität zu Köln, die im vergangenen Jahr unter dem Titel „...weil er nicht arischer Abstammung ist“ veröffentlicht wurden. Auf nüchterne und doch sehr persönliche Weise macht die Ausstellung im Oberlandesgericht mit vielen verschiedenen Menschen vertraut, lässt ihre Lebensläufe für sich stehen und versendet nur eine Botschaft: Genau dort, wo damals die Kollegen nichts hören und nichts sehen wollten, geben die Kollegen von heute den Verfolgten mit ihren Namen und Gesichtern auch ihre Würde zurück. HOLGER MÖHLMANN

Juristen ohne Recht, Oberlandesgericht Köln, Reichenspergerplatz, Mo-Fr 9-15 Uhr, bis 31.03.