Harte Zeiten für treue Fans

Während das Management von Borussia Dortmund um Mitleid für seine falsche Geschäftspolitik wirbt, leiden die Fans am Niedergang ihres geliebten Vereins

VON KLAUS BITTERMANN

„Weißt du, wenn ich früher in einem Kreis mir zum Teil unbekannter Leute sagte: Ich hab ’ne BVB-Dauerkarte, da sagten alle: Ouuh! Toll! Willst du nicht mein Freund sein? Wenn ich das heute sage, kommt aus irgendeiner Ecke immer ein höhnischer Lacher. Das gibt mir echt zu denken.“ Rolf, BVB-Fan

Sicher, das Finanzchaos und die personellen Turbulenzen des börsennotierten Vereins, in dem jetzt auch noch Großaktionäre ständig ihren Senf zur Lage abgeben und in die internen Belange des Vereins reinquatschen, ist deprimierend. Aber was mich am meisten fertig macht, seit ich zu den Heimspielen und den meisten Auswärtsspielen der Schwarzgelben fahre, ist das grauenhafte Gestümpere auf dem Platz. Seit der Rückrunde ist der Trend gestoppt, und plötzlich macht es wieder Spaß, das Westfalenstadion aufzusuchen.

„Ich weiß nicht, ob ich mir nächste Saison noch mal ’ne Dauerkarte besorge“, flucht Jupp, der seit seiner Jugend zum BVB pilgert, nach jedem vergeigten Spiel. Obwohl wir schon einige Höhen und Tiefen in der 2. Liga erleiden mussten, wir ertragen es immer schwerer, wenn die Jungs auf dem Rasen so tun, als hätten sie das Spielen verlernt. Das ist so, weil wir die großen Spiele der Dortmunder erlebten, gegen Real Madrid, Manchester und Milan, die Maßstäbe gesetzt haben. Es ist die Erinnerung an die gute alte Zeit, die die Gegenwart für einen Fan so schwer erträglich macht. Als ich beim Auswärtsspiel in Bielefeld beim Bratwurstverzehr einer Gruppe von Rentnern mit BVB-Schal zuhörte, ging es nicht um die Vereinskrise, nicht um Niebaum oder Meier, sondern ob man sich noch an das Endspiel in Glasgow 1966 erinnern könne. Das sei der letzte großartige Auftritt gewesen, was die Rentner-Combo nicht davon abhält, auch heute noch zu den Spielen zu fahren, bei denen nicht selten das Bier davor das Beste ist.

Eine Ehe auf Lebenszeit

Dennoch bleibt man nicht unberührt von den Machenschaften des eigenen Vereins. Aber man kann ihn nun mal nicht einfach wie ein Hemd wechseln, schließlich handelt es sich um eine Ehe auf Lebenszeit. Also versucht man, diese Hypothek auf andere Weise zu verarbeiten. Beispielsweise indem man Witze drüber macht. Im B-Trieb, der Kneipe, in der wir das Spiel nachträglich bei diversen Bieren durchkauen, wurde einstimmig die Absetzung Niebaums beschlossen und der ebenfalls seit seiner Jugend schwarzgelb infizierte Fritz Eckenga zum Präsidenten gewählt. Aus Dankbarkeit ernannte er mich zum Spielerbeobachter, „ein großartiger Job, in dem du die nächsten zehn Jahre garantiert nix zu tun haben wirst“. Wie will man auch anders reagieren auf die immer neuen Hiobsbotschaften, die seit der Aufdeckung des Finanzlochs von 118 Millionen durch die Presse geistern?

In seinem Buch „Eine Saison in Verona“ erzählt Tim Parks, wie Zeitungsberichte, in denen unschöne Details über den Verein aufgedeckt wurden, nicht nur skeptisch aufgenommen wurden, sondern sogar eine Solidarisierung mit dem Verein zur Folge hatten. Auch die BVB-Fans glauben nicht alles, was sie über den Verein zu lesen kriegen. Sie wittern sogar eine Kampagne, um ihn noch mieser zu machen, als er sowieso schon dasteht. Wird erst einmal ein Skandal aufgedeckt, erhält er durch die Medien, die sich geschlossen darauf werfen, eine merkwürdige Eigendynamik. So wenig die Presse sich veranlasst sah, über die ruinösen Finanzgebaren Niebaums über Jahre hinweg auch nur ein Wort zu verlieren, so gewinnt man heute den Eindruck, als versuche man, aus dem Verein mehr Skandalöses zu quetschen, als in ihm steckt. Man munkelt, dass Schalke durch die Schechter-Anleihe auch nicht weniger Schulden als Dortmund hat, aber die blauweiße Vereinsstruktur verhindert es, dass Genaues an die Öffentlichkeit dringt. Als börsennotierter Verein ist der BVB hingegen rechenschaftspflichtig. Außerdem sorgen Mitarbeiter dafür, dass auch Verträge aus dem Jahre 2000 kein Geheimnis mehr sind, wie der über die Abtretung des Vereinsnamens und des Vereinslogos zu Vermarktungszwecken an den Gerling-Konzern. Und sofort befand sich der Vorstand wieder in der Defensive. Ein Herr Dr. Peter Ksoll wurde beauftragt, ein Gutachten zu erstellen, um darzulegen, dass nicht der Vereinsname selbst verscherbelt, sondern eben „nur“ dessen Vermarktung zu Geld gemacht worden sei, ein Vorgang, der laut Michael Meier in der Branche üblich sei. Der Verein, und das zeigt diese Geschichte, ist ein beliebtes Prügelkind für die Presse geworden. Sogar Sport Bild und WAZ, in denen immer nur Hofberichterstattung betrieben wurde, als der BVB noch Titel einsackte, treten gern noch mal nach.

Sogar Niebaum ist nun zurückgetreten. Er wolle zu einer „Versachlichung der Diskussion“ beitragen, sagte er. Mit den Protesten der Fans dürfte der Rücktritt jedoch weniger zu tun haben, sie waren höchstens ein willkommener Vorwand. Es war sowieso nur eine Frage der Zeit, bis Niebaum abtreten würde. Vielleicht war’s ja ein Zugeständnis an die Westdeutsche Landesbank, um eine ihrer Forderungen zu erfüllen, die sie an die eventuelle Finanzierung des Stadionrückkaufs knüpfte.

Ich konnte Niebaum nie leiden. Er verbreitete das öde Flair eines zwangsneurotischen Politikers, dem man keine Minute zuhören konnte, ohne dass man ihm nicht mal gerne eine Kopfnuss verpasst hätte. Und als er nach dem Gewinn der Champions-League verkündete, der BVB würde nun die Liga von oben herab kontrollieren, da war er nicht nur bei mir unten durch. Das Einzige, was sich nach seinem Rücktritt bewegte, war der Aktienkurs, der angeblich um vier Prozent hochschnellte. Aber nicht mal das trug zur Beruhigung bei, denn wie die Financial Times Deutschland berichtete, droht dem BVB der Ausschluss von der Börse.

Ausgerechnet die Bayern

Nein, es ist ganz schön hart, Fan des BVB zu sein, der so gründlich in die Grütze geritten wurde. Es ist hart, erfahren zu müssen, dass ausgerechnet die Bayern einem unter die Arme greifen wollen. Noch härter ist es allerdings, wenn man den Jungs auf dem Rasen zugucken muss, wie sie vom Aufsteiger aus Nürnberg im eigenen Stadion vorgeführt werden. Beides ist noch lange kein Grund, dem Verein den Laufpass zu geben. Und so denken auch die 75.000 Fans, die ins Westfalenstadion wallfahren. Und das sind mehr Zuschauer, als Real Madrid, der AC Milan, Barcelona, Manchester, Schalke oder Bayern auf die Beine bringt. Der Fan definiert sich nun mal über seine Leidensbereitschaft. Die Frage, die sich Nick Hornby gestellt hat, wie es um Gottes willen passieren konnte, mit Arsenal London ausgerechnet dem langweiligsten Verein anzuhängen, stelle auch ich mir immer wieder. Inzwischen ist aus der grauen Maus der englischen Premier League eine europäische Spitzenmannschaft geworden, die anbetungswürdigen Fußball spielt. Diese Hoffnung bleibt. Irgendwann wird sich das Blatt wenden, und dann wird man uns wieder um unsere Dauerkarten beneiden.