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Archiv-Artikel

richtig nett ist’s nur im bett von RALF SOTSCHECK

Irland ist das Land mit der höchsten Lebensqualität der Welt. Zu diesem Ergebnis kam vor kurzem die Untersuchung „Die Welt 2005“, herausgegeben von der Economist Intelligence Unit (EIU). Niemand war überraschter als die Iren selbst – vor allem, als sie die Kriterien für die Messung der Lebensqualität erfuhren. Bewertet wurden Einkommen, Arbeitslosigkeit und politische Stabilität, aber auch Familienleben, Gleichberechtigung, Klima und Gesundheitsfürsorge.

Das irische Durchschnittseinkommen ist das vierthöchste der Welt, die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie zuvor in der Geschichte. Politische Stabilität und Familienleben hängen eng zusammen, denn die Partei Fianna Fáil, die „Soldaten des Schicksals“, regiert das Land mit kurzen Unterbrechungen seit 1932 wie ein Familienunternehmen. So weit, so gut. Aber Gleichberechtigung? Offenbar sitzen in der EIU nur Männer. Und über das Klima breiten wir den gnädigen Mantel des Schweigens.

Der Punkt, der am meisten erheiterte, ist die Gesundheitsfürsorge. Sie ist tadellos, wenn man den bunten Hochglanzbroschüre glauben kann, die Gesundheitsministerium und Krankenkassen regelmäßig verschicken. Man darf bloß nicht krank werden. Wenn man es doch einmal wird und ins Krankenhaus muss, sollte man wenigstens zuvor auf die Toilette gehen.

Das hatte ein 54-jähriger Patient nicht bedacht. Der Mann, der lieber anonym bleiben will, leidet unter der Parkinson’schen Krankheit sowie unter Arthritis. Als er obendrein einen Herzanfall bekam, rief seine Frau einen Krankenwagen. Die Notaufnahme im Dubliner Mater Hospital war wie immer überfüllt, so dass kein Bett frei war und der Patient mehrere Stunden auf einer Bahre geparkt wurde. Schließlich musste er auf die Toilette.

Als er zurückkam, war die Bahre weg. Die Krankenschwestern hatten sie für einen anderen Patienten benötigt. So musste der Schwerkranke für die nächsten Stunden auf einem Stuhl ausharren. Er traute sich nun nicht mehr auf das Klo, weil er befürchtete, dass er dann auch noch den Stuhl verlieren würde und im Stehen warten müsste.

Nachdem er behandelt worden war, bekam er wenigstens die Bahre zurück. Auf der verbrachte er die nächsten fünf Tage, bis ein Bett frei wurde. Immerhin: Bei einem früheren Krankenhausaufenthalt war er überhaupt nicht in den Genuss eines Bettes gekommen, sondern musste wie ein ungebetener Gast bei der Verwandtschaft auf einer Luftmatratze auf dem Fußboden übernachten.

Es ist kein Einzelfall. Täglich werden mehr als 200 Patienten auf Tragen abgelegt, weil es keine Betten gibt. Die irische Regierung steckt den warmen Geldregen, den ihr das Wirtschaftswunder beschert hat, lieber in den Autobahnbau. Das Gesundheitssystem ist heute in einem schlechteren Zustand als vor 20 Jahren, als Irland noch zum Armenhaus Europas gehörte.

Dafür sind die Iren aber immer fröhlich und voller Whiskey, denn das ist wahre Lebensqualität. An zweiter Stelle bei der Studie lag übrigens die Schweiz, Deutschland kam abgeschlagen auf Platz 26. Das Land mit der schlechtesten Lebensqualität ist Simbabwe. Dort haben sie weder Whiskey noch Luftmatratzen.