HEIDE OESTREICH ÜBER DIE REALITÄT DES DEUTSCHEN ISLAM : Erkenne deinen Nachbarn
Während die deutschstämmige Bevölkerung rätselt, ob die Muslime „zu uns“ passen, haben die Muslime längst Nägel mit Köpfen gemacht. Fast die Hälfte von ihnen ist bereits eingebürgert, zeigt die Studie aus dem Innenministerium. Über die Hälfte engagiert sich in deutschen Verbänden und Vereinen, von der Gewerkschaft bis zum Sportclub. Das steht irgendwie konträr zu der verbreiteten Ansicht von der Integrationsfeindlichkeit des Islam. Mädchen, die vor Zwangsheiraten fliehen, muslimische Verbandsvertreter, die von der Staatsanwaltschaft besucht werden, oder Imame, die hasserfüllte Freitagspredigten vom Stapel lassen – solche Berichte verfestigen dieses Bild immer wieder.
Die neuen Zahlen dagegen beleuchten das weite Feld jenseits der Bühne der Öffentlichkeit. Es gibt mehr deutsche Muslime, als wir alle dachten, und diese Mehrheit misstraut den Verbänden, die vorgeben, in ihrem Namen zu sprechen. Weniger als ein Viertel fühlt sich von ihnen vertreten. Die meisten gehen nur selten oder gar nicht in die Moschee. Stattdessen kicken sie im deutschen Fußballverein.
Das passt zu anderen Studien, die immer wieder untergehen, weil sie nicht ins Klischee passen: Gallup etwa ermittelte im Mai, dass 40 Prozent der Muslime sogar eine „enge Bindung zur Bundesrepublik“ fühlen, während dies von der deutschen Gesamtbevölkerung nur 32 Prozent angeben.
Es wird noch viele Studien brauchen, um das Klischee zu mildern. Denn die extrem auffällige Minderheit bestätigt es eben immer wieder. Aber je klarer die Meinung der muslimischen Mehrheit wird, desto eher kann die Grenze verschoben werden: nicht mehr zwischen „uns“ und „dem Islam“, sondern zwischen „uns“ und den Fundamentalisten jeglicher Couleur.