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Archiv-Artikel

Kriminalisierung missglückt

BIBLIOTHEK Die Leitung der reformierten Kirche gerät unter Druck: Sie hatte Untreue-Ermittlungen in der Emder a Lasco-Bibliothek angeregt. Den ersten Fall hat das Landgericht Aurich per Einstellung beendet

Jann Schmidt ist nicht zu beneiden, wahrlich nicht. Aber auch nicht zu bedauern. „Wir“, so der Präsident der Evangelisch-reformierten Kirche, „kommentieren das nicht“, denn „es handelt sich um ein schwebendes Verfahren“.

Völlig offen ist der Ausgang im Rechtsstreit um die Emder a Lasco-Bibliothek jedoch nicht mehr: Über Walter Schulz, der die Pfarrbücherei im Laufe von zehn Jahren zum wichtigsten Dokumentationszentrum für die Geschichte des calvinistischen Protestantismus ausgebaut hat, wird zwar ab Mitte Oktober verhandelt. Untreue will die Staatsanwaltschaft ihm nachweisen. Beim ursprünglich mitangeklagten Ex-Kuratoriums-Vorsitzenden Alfred Rauhaus ist ihr das allerdings nicht geglückt: Eine Verhandlung über den 64-jährigen Theologen hat das Auricher Landgericht abgelehnt – und die Einstellung nach Paragraf 153a der Strafprozessordnung beschlossen.

Natürlich mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft. Aber dass die ohne Zähneknirschen erfolgte, ist kaum vorstellbar. Denn es waren gleichsam prestigeträchtige Ermittlungen: Aufwändig vom Einsatz her, langwierig wegen komplexer Sachverhalte und – in der Region – öffentlichkeitswirksam. Auch im Fall Rauhaus.

Familie Rauhaus lebt in Weener. Weener ist eine Kleinstadt im Rheiderland, 15.000 Einwohner, und Rauhaus ist dort ein bekannter Mann. Wer nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, wie die Kripo sein Privathaus im September durchsuchte, bekam es anderntags brühwarm erzählt, beim Metzger, beim Brötchenholen. Oder vom Friseur. „Die Ermittlungen“, so Rauhaus, „waren sehr belastend“.

Jetzt belasten sie allerdings die theologische Leitung der reformierten Kirche. Denn die hatte sie in Gang gesetzt. „Eine Kirche“, sagt Schmidt, „führt doch keine Ermittlungen durch“, und das stimmt. Aber die Akten der Staatsanwaltschaft beginnen mit einem Anruf aus dem Leeraner Kirchenamt und der Schilderung eines Gesprächs – mit Schmidt und seinem Stellvertreter – und dem verdächtigen Befund, dass neu erworbene Bücher im Wert von rund einer Million Euro in den Beständen nicht gefunden worden waren.

Kunststück, wenn man den Bibliothekar vorsichtshalber nicht fragt – oder andere Leute, die es wissen müssten. Zum Beispiel den Kuratoriums-Vorsitzenden: „Ich habe“, sagt Rauhaus, „seit zwei Jahren mit Schmidt nicht mehr gesprochen“ – auch im Vorfeld der Verdächtigungen habe es einen Kontakt nicht gegeben. „Ob es dazu jetzt kommt, wage ich zu bezweifeln.“

Die Lokalzeitungen fordern mittlerweile Schmidt auf, sich zu entschuldigen. An zornigen Stimmen reich ist der Chor des reformierten Kirchenvolks, das Leitungsfunktionen gegenüber grundsätzlich skeptisch ist. Wissenschaftler murren, dass eine Wiedereröffnung der seit Jahresbeginn geschlossenen Bibliothek in den Sternen steht und die Bemühungen, genügend Liquida für einen geregelten Forschungsbetrieb aufzutreiben, noch recht hilflos wirken. Unklar ist zudem, ob eine geschlossene Bücherei wirklich gemeinnützige Aufgaben im Sinne des Finanzamts erfüllt. Weltweit begangen wird derzeit Jean Calvins 500. Geburtstag. Im September, so heißt es, will Schmidt in den Rat der Evangelischen Kirche Deutschlands gewählt werden. Eine missliche Lage.

BENNO SCHIRRMEISTER