Poetry On the Screen

Hippen empfiehlt: „Poem“ von Ralf Schmerberg ist ein Versuch, Gedichte von Goethe, Rilke, Tucholsky, Heine und vielen anderen zu verfilmen

Es ist schwer, sich auf die Gedichte zu konzentrieren, wenn der Filmemacher sein Talent darauf verwendet, uns mit seinen Bildern zu verführen

VON WILFRIED HIPPEN

Der Film ist eine synthetische Kunst. Im Grunde wird ja nur fotografiert und neu montiert, was aus den anderen, älteren Künsten kommt: Theater, Musik, bildende Kunst, Literatur, Design, Tanz, Architektur – all das wird im Film aufgehoben und dieser Prozess ist inzwischen so selbstverständlich, dass er kaum noch als solcher wahrgenommen wird. Nur mit der Lyrik kann das Kino wenig anfangen.

Kritiker sprechen zwar, wenn ihnen nichts besseres einfällt, von einem „Filmgedicht“, und jeder gute Regisseur arbeitet mit poetischen Stimmungen. Aber weil es bei der Lyrik so auf jedes einzelne Wort ankommt, lässt sich ein Gedicht schlecht übersetzten – weder in eine andere Sprache noch in ein anderes Medium.

An diesem Widerspruch arbeitet sich der deutsche Filmemacher und Produzent Ralf Schmerberg ab, der in „Poem“ 19 Werke deutscher Dichter verfilmt und seinen Anspruch so formuliert: „Mein Film soll die Zuschauer das Wort erleben lassen.“

Dabei nutzt er eine reiche Palette von Filmstilen und Genres. Ständig wird zwischen Inszeniertem und Dokumentarischem, Rezitation und Performance, Landschaftspanorama und Theateraufführung, Sinnbild und sprechendem Kopf gewechselt. Der „talking head“ muss dann allerdings schon Klaus Maria Brandauer sein, der in einer extremen Nahaufnahme in Schwarz-Weiß und ohne Schnitt Heinrich Heines „Der Schiffbrüchige“ so bitter anstimmt, dass jede Pore auf seiner Nase mitzuleiden scheint.

Abgesehen von dieser radikalen Verdichtung auf ein Gesicht und ein Gedicht kann man Schmerberg nicht gerade einen Minimalisten nennen. Bei den Darstellern hat sich der Regisseur bei der Top-Liga deutscher SchauspielerInnen bedient und zu seinen Drehorten zählen der Himalaja und Rio, wo sich die gealterte Primaballerina Marcia Haydée zu „An den Ritter aus Gold“ von Elke Lasker-Schüler vom Balkon aus ein Feuerwerk auf der Copacabana ansieht. Nicht nur hier stehlen die grandiosen Aufnahmen den Worten die Show. Es ist schwer, sich auf die Tonspur zu konzentrieren, wenn der Filmemacher sein Talent darauf verwendet, uns mit seinen Bildern zu verführen.

So gibt es etwa eine wunderbare Sequenz, in der Jürgen Vogel und Anna Böttcher zusammen mit einem Gewimmel von Kindern eine Familienszene am Rande des Nervenzusammenbruchs darstellen, bei der die geplagte Mutter schließlich ihren Kopf in einen riesigen blauen Luftballon steckt und in diesem Refugium Ingeborg Bachmanns „Nach grauen Tagen“ deklamiert. Das Gefälle zwischen dem bildungsfernen Milieu und der geschliffenen Sprache der Dichterin hat zwar ihren Reiz, aber ein wenig schleicht sich auch der Verdacht ein, das Gedicht würde hier für eine Pointe benutzt.

Wie gesagt: das gedichtete Wort hat es schwer, gegen die Übermacht der Bilder zu bestehen. Am besten gelingt es Schmerberg immer dann, diese Balance zu halten, wenn er sich zurückhält und der Kraft seiner Bildfindung vertraut. So etwa wenn er zu dem von Anna Thalbach gelesenen Gedicht „Kleines Solo“ von Erich Kästner mit der Kamera durch verlassene deutsche Wohn- und Schlafzimmer fährt.

Aber lange im Gedächtnis wird wohl ein anderes Bild bleiben: Hochzeitskleider in einem Verkaufsraum beginnen nacheinander in Flammen aufzugehen, bis das Feuer all diese Liebessymbole verzehrt. Ach ja, dazu wird Heiner Müllers „Ich kann dir die Welt nicht zu Füßen legen“ gelesen. Aber das fällt kaum weiter auf.

■ Bremen: Kino 46