: Spiralen der Erkenntnis
KLANGGEWALT Die Hörstücke des Musikers Albrecht Kunze verknüpfen postdramatische Inszenierungsformen und elektronischen Pop zu einem faszinierenden Resonanzraum
VON JULIAN WEBER
„Willkommen in unsicheren Zeiten, Zeichen und Umgebungen“, begrüßt der Musiker und Hörspielautor Albrecht Kunze User seiner Homepage. Wer einen übersichtlichen Internetauftritt erwartet, sieht sich einem Dschungels aus Verweisen gegenüber. Beim Versuch, durch das Textdickicht zu navigieren, landet man immer wieder am Anfang.
Wiederkehrende Motive
Zur Orientierung in den Hörstücken des Frankfurters werden darin lediglich einige wiederkehrende Motive und vorkommende fiktive Gesangsgruppen mit Namen wie „Einzige Zeugen“ oder „Sweethearts of Rhythm“ erläutert. „Einzige Zeugen“ treten etwa in dem Hörstück „Wie wir den Krieg gewannen“ als musikalische Truppenbetreuer auf.
Genaue Handlungsanleitungen sucht man beim 46-jährigen Albrecht Kunze jedoch vergebens. Die Ausgangslage für „Einzige Zeugen“ ist unsicher: Sie sind an einem nicht näher definierten Ort in Schwierigkeiten geraten, werden von Detonationen überrascht, fühlen sich verfolgt. „Ich versuche meinen Hörstücken eine Richtung zu geben, in der Krisenherde aus unserem Bewusstsein nicht auszublenden sind, sodass eine relative Nähe zu einem weit entfernt liegendem Problem entsteht.“ Verhandeln die Sprechstimmen Sachtexte, oder reden sie von eigenen Erfahrungen? Mit blechern klingendem Hall sind die Stimmen verfremdet, man hat so nie das Gefühl, dass sie Rollen spielen. Die Ungewissheit verstärkt die Atmosphäre latenter Bedrohung.
Das Verstörende bricht Kunze mit klangschöner Musik wieder auf. Sie ist laut und dynamisch nach vorne gemischt, lenkt so vom Geschehen ab, fordert den Hörern gesteigerte Aufmerksamkeit ab, um dem Gesagten folgen zu können. Das unterscheidet Kunzes Ansatz auch von den Wirkungsweisen des Hörspiels und seiner Nähe zum klassischen Drama. Seine radiophonen Arbeiten charakterisiert der Autor daher als „Nachdenken über Sound“. Sound ist bei Kunze gleichbedeutend mit Pop. Pop sei ihm seit je eine Obsession, sagt er, seit er als Jugendlicher „Help“ gesehen hat, einen der Beatles-Filme des US-Regisseurs Richard Lester. In den bis jetzt für Radiosender wie BR, WDR oder HR realisierten 13 Hörstücken haben Popelemente tragende Bedeutung. Albrecht Kunze hat ein Faible für das repetitive Moment der elektronischen Tanzmusik. Loops, also Klangschleifen, bilden das Fundament der Texte. Loops entziehen sich dem Wesen von Musik, weil sie keiner festgelegten Form folgen. „Man hört einen Loop jedes Mal anders, jeweils erweitert um das Wissen des vorherigen Loops.“ Kunze nennt diese Bewegung „Vorankommen in Erkenntnis-Spiralen“. Bereits als eine Hälfte des Popduos März beschäftigte sich Kunze mit Loops. Sie durchziehen auch seine Soloalben unter dem Alias Lamé Gold. Ein neues Werk namens „Cycled Songs“ soll bald folgen.
Musikalische Dramaturgie
Neben Popmusik ist die Neugier auf textbezogenes Arbeiten die andere wichtige Antriebsfeder für Albrecht Kunze. Sie wurde genährt, als er Anfang der 90er im Team von Tom Stromberg am Frankfurter Theater Am Turm mitgewirkt hat. Auch René Pollesch und Rimini Protokoll sind übrigens durch diese Schule gegangen, für die der Begriff postdramatisches Theater erfunden wurde. „Man verabredet sich zu einem bestimmten Thema, klaubt dafür verschiedene Texte zusammen und fügt sie im Laufe mehrerer Wochen zu einer Collage“, sagt Kunze über die bei Stromberg gelernte und bis heute beibehaltene Arbeitsweise. Themen aus der Popkultur mischen sich bei ihm mit Technologie-Diskursen, Unterhaltung wird mit Krieg kurzgeschlossen, aus einem Ort der Zerstreuung kann der Schauplatz einer blutigen Auseinandersetzung werden. „Früh in meiner Kindheit wurde ich mit den Kriegserlebnissen meines Vaters konfrontiert, der 1944 als Flakhelfer eingezogen wurde“, sagt Kunze über seine Motivation. Den Erzählpart seiner Hörstücke übernehmen monologisierende Sprechstimmen, die sich in einer ihnen fremden Klangumgebung zurechtzufinden haben. Die Stimmen sind eingebettet in die Loops, ähnlich wie Gesangsspuren in den instrumentalen Melodien eines Popsongs verankert sind. Kunze hat die Sprechstimmen aber komprimiert, damit sie leicht über der Musik liegen. Dennoch ist die Dramaturgie der Stücke hörbar musikalisch. Denn Stimmklang, Stimmhöhe und Sprechgeschwindigkeit tragen entscheidend zu ihrem Fluss bei und schaffen zusammen mit der Musik Leerstellen. In „Ich, auf der Tretmine“ ist etwa von einem Anschlag auf eine Großraumdisco die Rede. Mehr und mehr gibt die Stimme aber über die eigene Angst vor Kontrollverlust auf dem Dancefloor Auskunft. Bis am Ende nur noch ein Ambient-Rauschen übrig bleibt, wird die Textebene von einem klassischen 4-to-the-Floor-Housebeat beschleunigt.
■ Albrecht Kunze nimmt am Symposion „Krisen, Kriege, Katastrophen – und wie Hörspiel, Feature und Radiokunst darauf reagieren“ teil. 25.–27. Juni, Akademie für kulturelle Bildung, Rendsburg. Weitere Informationen: www.landen-auf-wasser.de