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Archiv-Artikel

Wir-Gefühle gegen rechts

Es reicht nicht, sich über rechte Parlamentarier aufzuregen. Deren affektive Botschaften müssen zerpflückt und widerlegt werden, um ihre möglichen Wähler zu erreichen

Wer Sympathisanten der Rechten erreichen will, muss sich voneigenen Identitätsritualen verabschieden

Rechte Abgeordnete halten Einzug in Kreistage und Stadträte. In Deutschland beginnt der Aufstieg einer Partei in den Regionen, weshalb vor Ort wirksame Gegenstrategien benötigt werden. Wie schwierig das ist, haben die Erfahrungen in Sachsen gezeigt. Daraus und auch aus früheren Erfahrungen lassen sich allerdings einige Strukturen erkennen und im Kampf gegen rechts nutzen.

Dafür sind zwei Zielgruppen zu unterscheiden:

1) Rechte Abgeordnete und Führungspersönlichkeiten sowie der harte Kern des Umfelds fallen für eine direkte Zielgruppenstrategie aus. Ausnahme: Drohungen („Wir kennen deine Adresse“) und allen Arten von Rechtsverstößen muss unmittelbar begegnet werden. Rechtsverstöße sind öffentlich zu machen, um die Glaubwürdigkeit rechtsextremistischer Gruppierungen zu zersetzen.

2) Das eher passiv-zustimmende Umfeld, Sympathisanten ohne Mitgliedschaft in einer rechten Gruppierung und Wähler rechter Parteien mit einem mehr oder weniger geschlossenen rechten Weltbild. Nicht zwingend folgt jedoch aus den bestehenden Einstellungen konkretes Wahlverhalten.

Personenkreise, die bisher nicht rechtsextrem wählten, jedoch über ein gewisses Ausmaß an rechten Überzeugungen verfügen und eine sozialpolitische Gerechtigkeitslücke empfinden, können am besten durch kühle, sachliche und auf Argumenten basierende Kommunikation erreicht werden. Die Aussagen und Programmatiken rechtsextremer Parteien sind öffentlich zu zerpflücken, ohne jedoch die potenziellen Anhänger solcher Aussagen emotional zu beschädigen oder gar zu beschämen. Jede moralisch-hochfahrende und die eigene Gerechtigkeit feiernde Strategie verbietet sich, da sie als arrogante Ignoranz empfunden würde – und als Demütigung der eigenen, als ungerecht und beschämend empfundenen persönlichen Lage.

Die Strategie gegen parlamentarischen Rechtsextremismus zielt demnach grundsätzlich auf das potenziell sympathisierende Umfeld. Man redet sozusagen auf den Zehenspitzen über die Köpfe der rechtsextremen Abgeordneten hinweg zu derjenigen Öffentlichkeit, die sich anfällig für rechte Parolen zeigt.

Eine unmittelbare Replik auf zum Beispiel fremdenfeindliche, rassistische oder antisemitische Äußerungen muss hinsichtlich ihrer Wirkung auf potenzielle Sympathisanten zugeschnitten sein. Zielführend ist ein systematisches, auf Argumenten beruhendes Zerpflücken der vorgetragenen Meinungen oder politischen Forderungen. Dass die demokratischen Parteien aus dem Parlament ausziehen, wenn Rechte sie provozieren, ist kontraproduktiv, weil es von möglichen Sympathisanten rechtsextremer Parteien als ohnmächtige Schwäche der Demokraten erlebt wird.

Man identifiziert sich jedoch lieber mit starken Protagonisten – also den Provokateuren, die stark und unabhängig von der Political Correctness scheinen. Ohnehin bestehende Ressentiments werden verstärkt, wenn man keine Beachtung mit eigenen Argumenten findet, die stellvertretend von rechtsextremen Parlamentariern vorgebracht werden. Die mangelnde Kultur der Anerkennung und der Unterstützung der Selbstwertregulation der für rechtsextremes Gedankengut anfälligen Personenkreise bedarf also der Korrektur durch Beachtung und Beantwortung der Argumente. Denn wer eine Identifikationsfigur verehrt, wird es kaum wertschätzen, wenn Protagonisten eigener Meinungen ignoriert oder emotional entwertet werden.

Aus diesem Grund verbieten sich emotionale Ausbrüche gegen rechtsextreme Parlamentarier, die lediglich der eigenen Entlastung und moralischen Aufwertung dienen, was im Zweifel auch von Sympathisanten und potenziellen Wählern so verstanden wird. Rechte könnten im Übrigen das Parlament leicht zum lächerlichen Wanderzirkus machen, wenn jede Provokation automatisch zum Auszug der anderen Fraktionen führen würde. Die strategische emotionale Zurückhaltung folgt hingegen dem taktischen Ziel, die hinter rechtsextremen Protagonisten stehenden, jedoch noch ambivalent gestimmten Personenkreise zu erreichen und nicht durch heftige Reaktionen in die Arme der Extremisten zu treiben.

Dies bedeutet, auf reflexhafte Darstellungen eigener politischer Korrektheit zu verzichten und stattdessen überlegte und rationale Gegenangriffe auf der Grundlage von Argumenten zu starten, die auf mögliche Sympathisanten abzielen. Respektiert werden müssen verbreitete Ängste vor Kriminalität, Verlust kultureller Identität angesichts einer globalisierten Welt, totalem Bedeutungsverlust des Werts eigener Kompetenzen; aber auch Furcht vor Wertepluralismus und sozialem Abstieg – unabhängig davon, ob diese Befürchtungen einer rationalen Grundlage entbehren. Wer potenzielle Sympathisanten der Rechtsextremen erreichen will, muss sich von eigenen Identitätsritualen verabschieden, die nicht der Eindämmung der Gefährdung des demokratischen Rechtsstaats dienen, sondern lediglich der Versicherung eigenen Gutmenschentums.

Rechte Propaganda wie das NPD-Plakat „Gute Heimreise“, das offenbar türkische oder muslimische Frauen zeigt, enthält die typische neonazistische Mischung aus subtilem Hass, zynischer Verpackung und dem Aufbau eines Feindbildes. Es handelt sich also um eine Affektbotschaft, die sich an bereits bestehende oder zu weckende Ressentiments richtet. Bekanntlich zeichnet sich erfolgreiche politische Kommunikation durch eine Mischung aus Sachinformation und Appell, gekoppelt mit einer emotionalen Botschaft, aus.

Das Parlament macht sich lächerlich, wenn jede NPD-Provokation zum Auszug der anderen Fraktionen führt

Dies bedeutet für den Umgang mit rechter Polemik, dass zunächst immer mit sachlich-nüchternen Argumenten der aggressiv-feindselige Inhalt der Propaganda aufgezeigt werden muss. Erst dann empfiehlt es sich, die Gegenkommunikation mit Emotionen zu koppeln, um sie wirksamer zu gestalten. Es geht also um ein zweistufiges Vorgehen: Zunächst ist sachlich aufzuzeigen, warum die Forderungen rechtsextremer Gruppen abwegig sind. Erst dann ist die Reaktion mit emotionalen Appellen zu koppeln: Rationale Argumente sind mit Leidenschaft zu präsentieren, wenn sie durchschlagend wirken sollen.

Positive Identifikationsangebote und Wir-Gefühle dürfen nicht den Neonazis überlassen werden. Es war ein schwerer politischer Fehler, dass Stolz auf positive historische und gegenwärtige Leistungen Deutschlands und seiner Bürger als verpönt galt. Mit Leidenschaft vorgetragene rationale Argumente gegen rechts werden nicht auf die Vermittlung von Wir-Gefühlen verzichten können: Kollektive Identifikationsangebote können mit Stolz präsentiert werden, wenn sie die Hässlichkeit von Fremdenfeindlichkeit, dumpfen Drohungen und Gewaltausbrüchen konterkarieren, weil sie für ein offenes, demokratisches und sympathisches Deutschland mit seinen Bürgern werden – ein Deutschland, auf das man tatsächlich stolz sein kann.

MICHA HILGERS