Die Idylle lebt im Wedding – mit Raucherzimmer

Kirsten Reinhardts Gastrokritik: Ein Lokal für Alt und Jung, türkisch und deutsch? Im Weddinger „Simit Evi“ klappt’s

Erstaunlich, wie gemütlich es ist, obwohl die Architektur an eine Kantine erinnert

Sie hat sich durchgesetzt gegen die Großen: gegen den Burger King, gegen Nordsee, gegen Hasir. Alle wollten sie in den leer stehenden 70er-Jahre-Glaskasten auf der Müllerstraße einziehen, direkt gegenüber vom Leopoldplatz. Keiner von ihnen kam am Ende rein. Zum Glück. Seit 14 Monaten residiert hier keine Gastro-Kette, sondern Familie Özem-Erens Bäckerei-Lokal Simit Evi.

„Simit“, erklärt Betreiberin Özlem Özem-Eren das Prinzip Sesamring, „das sind die Brötchen der Türken.“ Die Sozialpädagogin hat lange mit Berliner Jugendlichen gearbeitet, bevor sie sich nach der Geburt ihrer Tochter nach einer neuen Aufgabe umsah. Durch Zufall entdeckten sie und ihr Mann die leer stehenden Räume und überzeugten das Bezirksamt Wedding. Und schließlich den halben Kiez, so scheint es jedenfalls, denn das Simit Evi ist meistens gerappelt voll.

Das Konzept heißt: selbst aussuchen. Zu Beginn der Selbstbedienungstheke schnappt man sich ein Tablett und dann geht es los. Erst kommt das Gebäck, ganz frisch und zum Teil noch warm: Simit, Börek und Acma – Letzteres sind etwas dickere Teigringe, gefüllt mit Weichkäse, Oliven, Knoblauchwurst oder Schokolade. Im zweiten Teil der blank geputzten Glastheke gibt es die Süßspeisen: Milchreis und Profiterols – mit Sahne gefüllte Windbeutel in cremiger Schokoladensauce. Dazu Schwarzwälderkirsch-, Tiramisu- oder Erdbeertorte. Und dann kommt das Beste: Unmengen kleiner Porzellanschälchen sind gefüllt mit schwarzen und grünen Oliven, den faserigen Locken des Zopfkäses, Walnusspaste, Schafskäse, Marmeladen und Nutella, Honig, Salat und Gemüse. So kann man sich das perfekte Frühstück nach eigenem Gusto zusammenstellen. „Auf diese Art“, sagt Özem-Eren, „kann sich bei uns jeder etwas leisten.“

Das stimmt, ein Simit kostet 70 Cent, der Tee einen Euro. Und ihr Konzept geht tatsächlich auf. Es sitzen Reich und Arm – so sieht es zumindest aus –, Jung und Alt, türkisch und deutsch beieinander. Familien frühstücken an großen Tischen drinnen oder im Gastgarten unter Sonnenschirmen, eine Gruppe älterer Herren trinkt Tee, Paare flüstern bei Kaffee und Kuchen.

Erstaunlich, wie gemütlich es hier ist, obwohl die Glaskasten und Selbstbedienungs-Theken-Architektur des Simit Evi doch ein wenig an eine Kantine erinnert. Dass man sich in dem sehr modernen Ambiente wohl fühlt, liegt sicher auch daran, wie herzlich Özem-Eren und ihre 23 Angestellten sind. Man fühlt sich sofort willkommen.

Nicht unerwähnt bleiben soll selbstverständlich das Raucherzimmer: Ein kleiner Raum mit Glastür, durch die man hinter dicken Schwaden erahnen kann, wie viel Prozent der Weddinger an der Fluppe hängen.

SIMIT EVI, Müllerstr. 147, geöffnet: Mo.–Fr. 6–22 Uhr, Sa./So. 7–22 Uhr, U6/U9 und div. Busse Leopoldplatz, Simit 0,70 €, Tee 1 €, Cappuccino 2 €, Frühstückszutaten 0,60–1 €, Schoko-Acma 1,30 €, Profiterol 2 €, Milchreis 1,80 €. TIPP: Für mehrere Leute lohnt sich ein eigener Samowar mit Tee für 12 €

Zuletzt in der taz besprochen: Cafe und Weinbar Ritorno, italienisch, Weserstr. 7–8, Neukölln. Natalie Tenberg: „Ein Gefühl wie bei alten Freunden.“ Teigwaren, Oderberger Straße 41, teilweise bio. Natalie Tenberg: „Hervorragende Ravioli.“ Ishin Japanese Deli, Mittelstraße. Natalie Tenberg: „Zum Lunch.“ Der Kuchenladen, Kantstr. 138. Charlottenburg. Natalie Tenberg: „Ein ganz wunderbarer Rhabarberstreusel.“ KaDeWe, Tauentzien 10. 6. Stock, Restaurant Fischkutter. Natalie Tenberg: „Löst das Versprechen auf Erlebnis grandios ein.“